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Bildung - Alles, was man wissen muss

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56 WISSEN<br />

te er die Tricks der Sophisten in den Dienst der Wahrheitsfindung und entwickelte<br />

das sokratische Verfahren: Er stellte sich un<strong>wissen</strong>d und befragte seinen scheinbar<br />

selbstsicheren Gesprächspartner nach den Selbstverständlichkeiten – »Ist nicht, o Kritias,<br />

der Bildhauer vor der Statue da?« – »Selbstverständlich« –, führte ihn dann durch<br />

weitere Fragen in die Geröllhalde der Widersprüche, brachte ihn zum Straucheln, um<br />

dem mittlerweile völlig verwirrten, demoralisierten Gesprächspartner schließlich<br />

deutlichzumachen, daß seine vermeintlich sicheren Annahmen nur eine mildere<br />

Form der Ignoranz darstellten. Das Prinzip dieser angeleiteten Selbstzerstörung wird<br />

als sokratische Ironie bekannt. Das Verfahren ist äußerst spektakulär und hinterläßt bei<br />

den Betroffenen tiefe Spuren. Aber es dramatisiert auch auf augenfällige Weise, <strong>was</strong><br />

Philosophie bedeutet: Man verfremdet die Selbstverständlichkeiten, entautomatisiert<br />

die eigenen Wahrnehmungen und kann so die Welt demontieren, um sie – wie später<br />

Descartes nach seinem weltvernichtenden Zweifel – unter der Kontrolle der Logik<br />

wieder neu aufzubauen. Das ist Geburtshilfe für das selbständige Denken.<br />

In diesen Dialogen werden die Figuren für uns außerordentlich lebendig. Will<br />

<strong>man</strong> sie kennenlernen, sollte <strong>man</strong> mit dem Symposion beginnen. Das ist der Bericht<br />

über ein Gelage von erprobten Kampftrinkern aus Anlaß des Sieges des Agathon im<br />

Tragiker-Wettbewerb. Anwesend sind u. a. Agathon, Aristophanes, der Komödiendichter,<br />

Phaidros, Pausanias und Sokrates. Dabei geht es hemmungslos homo-erotisch<br />

zu – Homosexualität war als Knabenliebe Teil eines vergeistigten Lehrer-Schüler-<br />

Verhältnisses –, und auch das gemeinsame Thema ist die Liebe. Man spricht über Eros<br />

als Mittler zwischen Göttern und Menschen, und Aristophanes erzählt den Mythos<br />

vom ursprünglichen doppelgeschlechtlichen Kugelmenschen, den die Götter für sei-,<br />

ne Anmaßung in zwei Teile trennten, die nun vom Eros immer wieder zusammengeführt<br />

würden. Dann entfaltet Sokrates die Philosophie von der aufsteigenden Stufenfolge<br />

der Liebe: von der Sinnlichkeit über die Liebe zur schönen Seele und zur Wissenschaft<br />

bis zur Teilhabe am Mysterium der göttlichen Unsterblichkeit. Diese Lehre<br />

von der platonischen Liebe hat in der Verbindung mit christlichen Vorstellungen<br />

außerordentliche Karriere gemacht und wird im Florenz der Renaissance wiedererweckt.<br />

Auf dem Symposion aber stürmt plötzlich der alkoholisierte Alkibiades an der<br />

Spitze einer lärmenden Meute herein und wird gezwungen, ebenfalls eine Lobrede<br />

auf die Liebe zu halten. Aber statt dessen hält er eine Rede auf Sokrates, in der er behauptet,<br />

in Wirklichkeit habe sich Eros in ihm verkörpert. Durch seine bezaubernden<br />

Reden ziehe er alle mit unwiderstehlicher Liebe in seinen Bann, aber dann lenke er<br />

ihren Sinn auf ganz andere Dinge und veredle die Liebe zur Philosophie.<br />

Nichts hat das Bild des Sokrates stärker geprägt als dieser Dialog und der Bericht<br />

von Sokrates’ Tod. Wie noch viele nach ihm wird er angeklagt, die Jugend zu verderben<br />

und gegen alte Sitten aufzuhetzen. Er verteidigt sich selbst, wird mit knapper

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