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Bildung - Alles, was man wissen muss

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362 WISSEN<br />

Es gibt aber Fächer, die ihre Einheit nicht aus der <strong>wissen</strong>schaftlichen Disziplin ableiten,<br />

sondern ihr Profil aus der beruflichen Praxis beziehen, auf die sie vorbereiten.<br />

So schneidet die Medizin Anteile aus der Biologie und Chemie heraus und kombiniert<br />

sie, nicht etwa, weil der menschliche Körper ein eigener <strong>wissen</strong>schaftlicher<br />

Gegenstand ist, sondern weil die Praxis der Heilkunde ihn dazu macht. Und die Juristerei<br />

und die Pädagogik sind überhaupt keine Wissenschaften, sondern Praktiken,<br />

die eine gewisse strategische Reflektiertheit voraussetzen.<br />

Ihre Erfolge haben der Wissenschaft ein ziemliches Prestige eingebracht. Aus diesem<br />

Grund haben sich immer mehr Fächer das Kostüm der Wissenschaft angezogen<br />

und sich an den Unis etabliert, die in Wirklichkeit akademisch nobilitierte Praktiken<br />

sind: Journalismus, Schauspiel, Sprachlehrforschung, Regie, Politologie und verschiedene<br />

psychologische Disziplinen zwischen Scha<strong>man</strong>ismus und Hokuspokus. Und<br />

auch die Lehrerbildung leidet an einer unklaren Bastardisierung zwischen Praxis und<br />

Wissenschaft, so daß weder die Wissenschaft noch die Praxis zu ihrem Recht kommen<br />

und die Lehrer von Anfang an sich an professionelle Maskenspiele gewöhnen.<br />

Der Fortschritt der Wissenschaften<br />

Nun hat <strong>man</strong> lange aus dem Erfolg der Wissenschaften auch das Bild ihrer Geschichte<br />

gewonnen: Man stellte sie sich als stetige Akkumulation (Anhäufung) von immer<br />

mehr Wahrheiten vor, so wie durch die Entdeckung der Erde immer mehr Land erforscht<br />

wurde.<br />

Bis Thomas Kühn kam, der Wissenschaftshistoriker. Bei seinen Untersuchungen<br />

fiel ihm auf, daß die Wissenschaften auch ziemlichen Mumpitz produziert hatten und<br />

daß die Widerlegung des Mumpitzes auch zu ihrem Fortschritt beigetragen hatte.<br />

Also konnte die Wissenschaft nicht nur als Akkumulation von Wahrheiten, sondern<br />

mußte auch als Akkumulation von Mumpitz beschrieben werden. So hatte <strong>man</strong> zwischen<br />

1670 und 1770 daran geglaubt, daß alle brennbaren Stoffe die Substanz Phlogiston<br />

enthielten, die bei der Verbrennung entwich. Die Annahme war äußerst fruchtbar<br />

und hat viele Entdeckungen ermöglicht, aber sie war Mumpitz. Phlogiston ist so<br />

real wie der Yeti.<br />

Als Thomas Kühn sich in dieses Problem vertiefte, entdeckte er, daß der <strong>wissen</strong>schaftliche<br />

Fortschritt sich ganz anders vollzog, als <strong>man</strong> bisher angenommen hatte. Er<br />

bestand nicht aus einer stetigen Anhäufung von immer mehr Wahrheiten, sondern aus<br />

einer Serie von Legislaturperioden mit wilden Wahlkämpfen und wechselnden Regierungen.<br />

Kühn stellte fest, daß es in jeder Wissenschaft eine herrschende Lehrmeinung gibt,<br />

die auf einer Reihe sich ergänzender Leitbegriffe und Hintergrundannahmen beruht.<br />

Diese Annahmen gelten als selbstverständlich, fraglos und als nicht begründungsbe-

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