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Bildung - Alles, was man wissen muss

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DAS HAUS DER SPRACHE 429<br />

– er braucht einen toten Mann;<br />

– sie hat einen toten Mann;<br />

– er ist ein lebendiger Mann;<br />

– sie muß, um leben zu können, einen Leichnam loswerden;<br />

– er muß, um leben zu können, einen Leichnam behalten.<br />

Diese Ähnlichkeit macht es möglich, daß sich wie bei einer Metapher die Elemente<br />

gegenseitig ersetzen. So ersetzt der lebendige Soldat den toten Ehe<strong>man</strong>n bei<br />

der Witwe, und die Leiche des Ehe<strong>man</strong>ns ersetzt die Leiche des Verbrechers. Das<br />

Schöne an der Geschichte ist, daß die Frau den Leichnam ihres Mannes gerade dann<br />

entbehren kann, als der Soldat einen braucht. Mit anderen Worten: Der vergangene<br />

Tod des Ehe<strong>man</strong>ns ersetzt den zukünftigen Tod des Soldaten, und die Zukunft des<br />

Soldaten bei der Witwe ersetzt das Andenken des verstorbenen Ehe<strong>man</strong>ns.<br />

Die Geschichte der Witwe von Ephesus ist also auch selbstbezüglich; sie benutzt<br />

eine metaphorische Struktur, um die Struktur der Metapher vorzuführen. Sie ist das,<br />

<strong>was</strong> sie zeigt. So wie das Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, das selbst so ist wie<br />

Blitz und Donner, von denen es spricht.<br />

Diese Form der Selbstbezüglichkeit wollen wir zum Schluß noch einmal illustrieren,<br />

indem wir sie für die eigene Darstellung bei der Erläuterung der beiden Sprachdimensionen<br />

übernehmen.<br />

Dazu vergleichen wir ihre Zusammenarbeit mit der Kleiderordnung.<br />

Es gibt auch bei den Kleidern eine Syntax mit Satzteilen. Aber statt von Subjekt,<br />

Prädikat, Objekt, Prädikatsnomen, Adverb sprechen wir von Kopfbedeckung, Hemd,<br />

Jacke, Hose, Strümpfen und Schuhen. Manchmal darf <strong>man</strong> vielleicht die Kopfbedeckung<br />

weglassen, so wie auch ein Satz nicht unbedingt ein Adverb enthalten muß,<br />

aber in der Regel müssen die wichtigsten Typen von Kleidungsstücken benutzt werden.<br />

Man hat nun von jedem Typ einen bestimmten Auswahlbereich; <strong>man</strong> kann für<br />

den Oberkörper ein T-Shirt, ein Hemd mit Pullover, einen Rollkragenpulli oder ein<br />

Oberhemd mit Schlips und Jackett auswählen. Und ebenso kann <strong>man</strong> sich bei der<br />

Fußbekleidung für Stiefel, Sandalen, Halbschuhe, Turnschuhe oder Schneeschuhe<br />

entscheiden. Grundsätzlich steht es einem frei, jeden Satzteil mit einer Auswahl aus<br />

dem Bereich jedes anderen Satzteils zu kombinieren. Ich könnte also ein Hemd mit<br />

Schlips und Jackett, mit Bermudashorts, einem Zylinder und Turnschuhen kombinieren.<br />

Das wäre allerdings so, als ob ich etwa folgenden Satz äußern würde:<br />

»Und sie dann mit frischem Mut Schnittlauch auf das Rührei tut.«<br />

Grammatikalisch stimmt dieser Satz. Ebenso stimmt die Syntax meiner Bekleidung.<br />

Von grammatikalischen Fehlern müßte <strong>man</strong> eher sprechen, wenn <strong>man</strong> die Hose<br />

auf dem Kopf trüge, die Socken an den Händen und das Hemd um die Hüften gebunden<br />

hätte.

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