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Bildung - Alles, was man wissen muss

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EINLEITUNG 395<br />

men«. Im Englischen heißt <strong>Bildung</strong> »liberal education«, gebildet gibt das Lexikon mit<br />

»educated, cultured, well-bred« wieder. Im Französischen spricht <strong>man</strong> von »culture<br />

générale«, <strong>Bildung</strong>slücke heißt schlichtweg »ignorance« oder »lacune dans les connaissances«,<br />

während gebildet mit »cultivé« oder »lettré« wiedergegeben wird. Im Lateinischen<br />

heißt <strong>Bildung</strong> »mentis animique informatio«, »cultus« oder »eruditio«. Griechisch<br />

heißt <strong>Bildung</strong> »paideia« und russisch »obrasowanije«.<br />

<strong>Bildung</strong> ist also ein komplexer Gegenstand: ein Ideal, ein Prozeß, eine Summe<br />

von Kenntnissen und Fähigkeiten und ein geistiger Zustand. Zustände sind durch Adjektive<br />

beschreibbar. Im Deutschen würde <strong>man</strong> von gebildet, aber auch von kultiviert<br />

sprechen. Das Gegenteil ist ungebildet, im Englischen »uneducated«, im Französischen<br />

»inculte«.<br />

Blicken wir indes auf die soziale Wirklichkeit, stellen wir fest, daß <strong>Bildung</strong> nicht<br />

nur ein Ideal, ein Prozeß und ein Zustand, sondern auch ein soziales Spiel ist. Das Ziel<br />

dieses Spieles ist einfach: gebildet zu erscheinen und nicht etwa ungebildet. Aber die<br />

Regeln haben es in sich. Wer nicht von Kindesbeinen an das <strong>Bildung</strong>sspiel eingeübt<br />

hat, hat nachher Schwierigkeiten, die Spielregeln zu lernen. Warum? Weil <strong>man</strong> sie<br />

schon kennen muß, um üben zu dürfen. In den Club der <strong>Bildung</strong> wird <strong>man</strong> nur aufgenommen,<br />

wenn <strong>man</strong> das Spiel schon beherrscht; aber spielen lernen kann <strong>man</strong> nur<br />

im Club.<br />

Das ist unfair. Aber warum ist es so?<br />

Weil das <strong>Bildung</strong>sspiel ein »Unterstellungsspiel« ist. Im geselligen Verkehr unterstellt<br />

jeder dem anderen, daß er gebildet ist, und der andere unterstellt, daß ihm das<br />

unterstellt wird.<br />

Solche Unterstellungen sind Formen des Kredits. In der Moral ist das ganz üblich;<br />

da unterstellt <strong>man</strong> eine generelle Anständigkeit als Normalfall. Auf einer Abendgesellschaft<br />

wäre es unangebracht zu fragen:<br />

»Sagen Sie mal, Herr Dr. Isebrecht, haben Sie schon mal einen Raubüberfall begangen?<br />

Nein? Auch kein Notzuchtverbrechen?«<br />

In derselben Weise unterliegt die <strong>Bildung</strong> einem Thematisierungstabu. Es ist also<br />

unangebracht, die <strong>Bildung</strong> des Gegenüber wie bei einem Quiz zu prüfen nach der<br />

Manier:<br />

»Wer hat den Dom von Florenz erbaut? Was, das <strong>wissen</strong> Sie nicht? Und Sie wollen<br />

das Abitur haben?«<br />

Dieses Thematisierungstabu schafft einen breiten Sumpfgürtel der Unklarheit darüber,<br />

<strong>was</strong> <strong>man</strong> als gebildeter Mensch <strong>wissen</strong> und <strong>was</strong> <strong>man</strong> nicht <strong>wissen</strong> muß. Und auf<br />

diesem schwankenden Boden befällt jeden eine generelle Unsicherheit, die zu neuen<br />

Unterstellungen und Thematisierungsverboten führt. Das ergibt eine neue Definition:

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