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Bildung - Alles, was man wissen muss

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410 KÖNNEN<br />

schaft nur in eingeschränktem Sinne teil; ganze symbolische Kontinente bleiben<br />

ihm verschlossen;<br />

– wer sich nur unvollkommen artikulieren kann, dem bleibt auch sein eigenes Inneres<br />

weitgehend dunkel.<br />

Es gibt eine Komödie darüber, <strong>was</strong> es bedeutet, sich mit der Eroberung bisher unzugänglicher<br />

Sphären der Sprache eine neue Welt zu schaffen: Pygmalion von George<br />

Bernard Shaw. Sie erzählt die Geschichte des Blumenmädchens Eliza, die den Phonetiker<br />

Higgins dazu provoziert, ihr ein so blütenreines Oberklassen-Englisch beizubringen,<br />

daß sie beim Ball des Botschafters als Herzogin durchgeht. Lerner und Loewe<br />

haben daraus das Musical My Fair Lady gemacht, das mit Audrey Hepburn und<br />

Rex Harrison verfilmt wurde. Es gibt darin eine Szene, in der Eliza unter dem Streß<br />

des Übens fast in Tränen auszubrechen droht und Higgins sie wieder aufrichten muß.<br />

In einer aktualisierten deutschen Adaption lautet diese Stelle folgendermaßen: »Ich<br />

weiß, daß du müde bist, ich weiß, daß dein Kopf schmerzt, ich weiß auch, daß deine<br />

Nerven bloßliegen. Aber bedenke, womit du es zu tun hast: mit der Majestät und<br />

Großartigkeit der Sprache. Die größte Gabe, die Gott uns gegeben hat. Ohne sie<br />

würden wir das Herz unseres Nächsten nicht erreichen. Wir würden keine gemeinsame<br />

Welt bewohnen. Wir wären eingeschlossen in unser armseliges Selbst und würden<br />

als einsame Tiere eine öde Welt durchstreifen. Erst diese geheimnisvolle Mischung aus<br />

Lauten hat die Fähigkeit, uns eine Welt aus Sinn und Bedeutung zu schaffen. Und<br />

diese Welt sollst du erobern.«<br />

Deshalb führt der Königsweg zur <strong>Bildung</strong> über die Sprache. Sie muß einem so<br />

vertraut sein wie die eigene Wohnung oder das eigene Haus. Man muß nicht jedes<br />

Zimmer ständig nutzen. Und den Keller des Jargons, die Waschküche des Gefühlsüberschwangs<br />

und den Heizungskeller der leidenschaftlichen Ausbrüche betritt <strong>man</strong><br />

nicht so häufig wie die Wohnküche der Alltagssprache, das Schlafzimmer des familiären<br />

Dauergeplauders und das Wohnzimmer des gesellschaftlichen Normalverkehrs.<br />

Das gilt auch für das ausgebaute Dachgeschoß der formellen Äußerungen und des<br />

Pathos und auch für das Gästezimmer, das eine fremdwortgeschwängerte Konversation<br />

der gehobenen Art beherbergt. Aber alle Zimmer und Stockwerke der Sprache<br />

müssen einem gleich zugänglich sein; <strong>man</strong> muß sich in ihnen routiniert und geschickt<br />

bewegen können, ja, <strong>man</strong> muß sich darin traumwandlerisch sicher zurechtfinden.<br />

Die Sprache bildet durch ihre Stillagen immer auch die Sphären der Gesellschaft<br />

und ihren dramaturgischen Rahmen ab: Im Büro spricht <strong>man</strong> anders als zu Hause<br />

und bei einer Beerdigung anders als in der Badeanstalt. Es gibt auch deutliche Höhenunterschiede:<br />

Bei einem <strong>wissen</strong>schaftlichen Kongreß geht es anders zu als in einer<br />

Stammtischrunde, und bei einer literarischen Soiree anders als in der Disco. Für jede<br />

Gelegenheit und jede Sphäre gibt es die entsprechenden Stillagen und die entspre-

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