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Bildung - Alles, was man wissen muss

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428 KÖNNEN<br />

hier bedeutet die Endstellung von »Turm« das verzögerte Begreifen. Mit anderen<br />

Worten: Diese Zeilen teilen nicht nur mit, daß es blitzt und donnert, sondern sie zeigen<br />

auch, wie uns Blitz und Donner erscheinen. Die Form der Aussage imitiert den<br />

Inhalt der Aussage.<br />

Es handelt sich hier um Dichtung. In diesem Falle um den Beginn der Ballade Die<br />

Füße im Feuer von C. F. Meyer. Dabei gelingt es dem Verfasser, in der Aussage über<br />

Blitz und Donner eine Imitation von Blitz und Donner mit unterzubringen. In diesem<br />

Sinne ist die Selbstbezüglichkeit umgedreht: Die Aussage thematisiert nicht die<br />

Form, sondern die Form imitiert die Aussage.<br />

Nun haben wir gesagt, daß das Prinzip der Ähnlichkeit das Gesetz ist, das die<br />

Metapher regiert: Bücher und Braten sind sich darin ähnlich, daß sie beide als Nahrung<br />

dienen, einmal dem Geist, einmal dem Körper. Ähnelt also die Form einer Aussage<br />

dem Inhalt, treten beide in eine metaphorische Beziehung zueinander. Diese<br />

metaphorische Struktur ist nun tatsächlich das Kennzeichen der Dichtung. Ro<strong>man</strong><br />

Jakobson hat das durch die Formel ausgedrückt, daß das männliche Prinzip der metaphorischen<br />

Ähnlichkeit gewissermaßen das weibliche Prinzip der Kombination des<br />

Unähnlichen in der Syntax noch einmal überformt.<br />

Nehmen wir als Beispiel eine Geschichte, die zum ersten Mal in einem römischen<br />

Ro<strong>man</strong> von Petronius mit dem Titel Satyrikon erzählt und seitdem häufig variiert<br />

wurde. Sie ist bekanntgeworden unter dem Titel Die Witwe von Ephesus.<br />

Eine Witwe hat die Leiche ihres verstorbenen Gatten in die Familiengruft<br />

gebracht und will ihm nun trauernd und fastend nachsterben.<br />

Dabei wird sie von einem Soldaten entdeckt, der die Leichname mehrerer<br />

gekreuzigter Verbrecher bei Strafe seines Lebens zu bewachen hat.<br />

Er verliebt sich in die Witwe und bringt es fertig, daß sie sich, ihres<br />

Gatten vergessend, ebenfalls in ihn verliebt. Dabei rettet er ihr das Leben,<br />

verwirkt aber zugleich sein eigenes, da während seiner Abwesenheit<br />

einer der Gekreuzigten von dessen Familie gestohlen wurde. Als<br />

der Soldat sein Urteil nicht abwarten und sich selbst richten will, rettet<br />

nun zum Ausgleich die Witwe sein Leben dadurch, daß sie ihm als Ersatz<br />

für den gestohlenen Leichnam den ihres Mannes anbietet.<br />

Wir sehen gleich: die Geschichte besteht aus wenigen Grundelementen, die<br />

hintereinandergeschaltet werden, sich aber zugleich auch ähneln oder miteinander<br />

kontrastieren:<br />

– der Soldat rettet die Witwe;<br />

– die Witwe rettet den Soldaten;<br />

– sie braucht einen lebendigen Mann;

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