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Bildung - Alles, was man wissen muss

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252 WISSEN<br />

blin. Es handelt sich um den jungen Intellektuellen Stephen Dedalus, den Anzeigenakquisiteur<br />

Leopold Bloom und seine Frau Molly. Der Ro<strong>man</strong> enthält 18 Episoden<br />

die nach dem Muster von Homers Odyssee angeordnet sind. Die ersten drei und die<br />

neunte sind Stephen gewidmet, die zehnte allen Figuren des Ro<strong>man</strong>s, und die letzte<br />

enthält den inneren Monolog von Molly Bloom. Alle anderen gehören Leopold<br />

Bloom. Er ist der moderne Odysseus, aber da Bloom Jude ist, ist er auch der moderne<br />

Ahasver, der, vom Fluch Jesu gezeichnet, ruhelos durch die Welt wandert, ein ewiger<br />

Exilant, der nirgends zu Hause ist. Mit dieser Doppelung verweist Joyce auf die<br />

beiden Quellen unserer Kultur im antiken Griechenland und in den Schriften der Juden.<br />

Und die Odyssee ist im Ulysses die Wanderung des modernen Durchschnittsbürgers<br />

Bloom durch die Stadt Dublin vom frühen Morgen, als Bloom sich aus dem Bett<br />

erhebt und die Toilette aufsucht, bis zum Morgen des nächsten Tages, als er nach dem<br />

Besuch des Rotlichtviertels von Stephen nach Hause gebracht wird und sich verkehrt<br />

herum zu seiner Frau Molly ins Bett schiebt, deren endloser Bewußtseinsstrom<br />

so in den Schlaf fließt wie der Fluß Liffey ins Meer. Zwischendurch haben wir Bloom<br />

ins Restaurant, in eine Zeitungsredaktion, bei einem Begräbnis, ins türkische Bad, in<br />

eine Bar, in ein Krankenhaus, eine Bibliothek und ein Bordell und durch die Straßen<br />

und Plätze und Parks von Dublin begleitet. Und alles, <strong>was</strong> wir erlebt haben, haben wir<br />

durch die Sinne Blooms erlebt.<br />

Niemals vorher hat es ein Schriftsteller unternommen, den Leser so restlos in ein<br />

anderes Bewußtsein zu entführen, wo er halbbewußte Erinnerungen, abgeschattete<br />

Gedanken, unklare Empfindungen, diffuse Körpergefühle zusammen mit Bildern,<br />

Gerüchen und Geräuschen in solcher Lebendigkeit, Komplexität und pulsierender<br />

Rhythmik wahrnimmt, daß er am Ende Bloom besser kennt als sich selbst. Nirgendwo<br />

sonst in der Literatur finden wir ein so umfassendes Bild von einem anderen<br />

Menschen wie hier. Wir wandern durch alle Zonen des Unbewußten und der amorphen<br />

Lagerbestände der kulturellen, persönlichen und alltäglichen Erinnerungen;<br />

durch alle Winkel der Intimität, der ungreifbaren Stimmungen und atmosphärischen<br />

Einfärbungen; und alle vitalen Rhythmen und Variationen von Empfindungen. Dabei<br />

sind die Episoden durch eine kunstvolle Kompositionstechnik so miteinander verbunden,<br />

daß das Muster der parallelen Episoden aus der Odyssee noch mit jeweils einer<br />

Kunstgattung, einer Farbe, einem menschlichen Organ, einer Disziplin und einem<br />

Element verknüpft ist.<br />

Fünf Formen der allumfassenden Totalität werden dabei aufeinander bezogen: die<br />

Familie, bestehend aus Bloom, seiner Frau und ihrem wahlverwandtschaftlich adoptierten<br />

Sohn Stephen; die Odyssee als Erklärung der Welt; das Bewußtsein in allem,<br />

<strong>was</strong> es wahrnimmt; der Tageslauf vom Morgen bis Morgen als eine Art Weltalltag der<br />

Epoche – inzwischen heißt der 16. Juni bei Joyce-Fans Bloomsday – und die Stadt als

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