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Bildung - Alles, was man wissen muss

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484 KÖNNEN<br />

VI DAS REFLEXIVE WISSEN<br />

Gebildet ist erst der, der sein eigenes Wissen einordnen kann. Doch dabei geht es<br />

nicht um eine harte Konfrontation zwischen Wissen und Nicht<strong>wissen</strong>. Vielmehr gibt<br />

es gestufte Übergänge. Eine Form, die dieser Übergang annehmen kann, heißt »Problem«.<br />

Wenn <strong>man</strong> noch nicht weiß, <strong>was</strong> alles in der Gesellschaftstheorie eine Rolle<br />

spielt, kann <strong>man</strong> doch <strong>wissen</strong>, daß es in ihr um ein großes ungelöstes Problem geht:<br />

Soll <strong>man</strong> die Gesellschaft hu<strong>man</strong>istisch vom Menschen her denken oder antihu<strong>man</strong>istisch<br />

als ein Gebilde auffassen, das so wenig an menschlichen Maßstäben zu messen<br />

ist, wie ein Ameisenhaufen einer Ameise gleicht. Ein solches Problem ist wie ein großes<br />

Magnetfeld: Es strukturiert zahlreiche Details, schafft Ordnung und Übersicht<br />

und macht zugleich angrenzende Wissensgebiete zugänglich. Z.B. stellt sich in der<br />

Neurobiologie folgende Frage: Soll <strong>man</strong> sich ein Nervensystem oder ein Hirn nach<br />

dem Modell einer Gesellschaft vorstellen (siehe Marvin Minskys Buch Mentopolis),<br />

oder ist das eine unerlaubte Analogie?<br />

Wissenschaften, Theorien oder Paradigmen organisieren sich über ungelöste Probleme,<br />

und es empfiehlt sich, an solchen Problemen mal herumzuschnuppern. Dazu<br />

muß <strong>man</strong> nicht die Grundlagen einer Wissenschaft studieren. Vorstellungen der Solidität,<br />

der Gründlichkeit und der Systematik sind hier ganz unangebracht und dienen<br />

nur der Begründung dafür, eine Sache gar nicht kennenlernen zu wollen, wenn <strong>man</strong><br />

sie nicht ganz versteht. Es genügt aber, wenn <strong>man</strong> eine intuitive Ahnung vom Denkstil<br />

bekommt, der in einer bestimmten Disziplin herrscht. Dabei wird <strong>man</strong> feststellen,<br />

daß es die offenen Fragen und Kontroversen sind, die einen sofort fesseln und den besten<br />

Einblick in ein Wissensgebiet eröffnen. Und <strong>man</strong> wird auch feststellen, daß die<br />

Wissenschaft aus einem Denkwettbewerb auf höchstem Niveau besteht, bei dem es<br />

äußerst kämpferisch, spannend und verspielt zugeht. Jede Wissenschaft hat immer<br />

wieder begabte Schreiber hervorgebracht, die es fertigbringen, einem Laienpublikum<br />

einen Eindruck von der unwahrscheinlichen Kreativität zu vermitteln, die in ihren<br />

Disziplinen entfaltet wird. Wer Konrad Lorenz über Verhaltensforschung, Edward O.<br />

Wilson über Ameisen und Soziobiologie, Heinz von Foerster über Selbstorganisation,<br />

Howard Gardner über Intelligenz, Jay Gould und R. Dawkins über Evolution, Douglas<br />

Hofstadter über Probleme der Selbstreferenz, Paul Watzlawick über paradoxe<br />

Kommunikation gelesen hat, der hat einen Eindruck davon erhalten, wie <strong>man</strong> hinter<br />

die Geheimnisse der Schöpfung kommt. Wer sich davon hat anregen lassen, gewinnt<br />

einen nicht unerheblichen Vorrat an Optimismus, der ihm über melancholische Phasen<br />

hinweghilft. Und er erhält eine Ahnung davon, in welche Richtung unsere geistige<br />

Entwicklung geht: So sieht es im Augenblick danach aus, daß die Kluft zwischen

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