24.11.2013 Aufrufe

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

Bildung - Alles, was man wissen muss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

272 WISSEN<br />

schaftsdrama warst du so altmodisch wie England selbst. Diese ganze englische<br />

Steifheit wird ja bis hinunter zu den Martins und Smiths imitiert.<br />

BRECHT Eugene! Welche Analyse! Welch sozialer Blick! Bravo! Ich stimme zu.<br />

SHAW Du stimmst zu! Ich und altmodisch! Das hat mir noch nie<strong>man</strong>d gesagt. Ich<br />

wußte, daß ich eines Tages überholt werden würde, das ist die Evolution. Aber hast<br />

du nicht selbst soziale Ideendramen geschrieben, B.B.?<br />

PIRANDELLO Nein, ich sehe es jetzt deutlich: B.B. ist so modern wie wir!<br />

BRECHT Aha! Du machst mich neugierig. So modern wie ihr – das klingt bedrohlich.<br />

PIRANDELLO Dr. Godit hat recht. Auch dein Problem ist es, daß die Gesellschaft<br />

von der Interaktion her nicht mehr zugänglich ist. Damit dreht die Selbstbezüglichkeit<br />

des Dramas durch. Es wird tautologisch. Dein berühmter Verfremdungseffekt<br />

ist nichts anderes als eine Tautologie. Da sagt das Drama nur: Schaut her, Leute!<br />

Ich bin ein Drama und möchte euch et<strong>was</strong> zeigen. Als ob wir das nicht vorher<br />

gewußt hätten! Immer hat das Drama et<strong>was</strong> repräsentiert. Aber nun kommst du<br />

daher und zeigst auf das Zeigen. Erst zeigst du mit deinem Zeigefinger auf irgend<br />

et<strong>was</strong> – das nennst du dann Parabel –, da <strong>man</strong> aber nicht sieht, worauf dein Finger<br />

zeigt, nimmst du den anderen Finger und zeigst auf den Zeigefinger. Das ist tautologisch.<br />

IONESCO Bravo! Brecht ein Erbe von Pirandello. Wir sind alle Erben von Pirandello.<br />

Ich bekenne es freimütig, denn bei mir ist die Spiel-im-Spiel-Struktur ja sowieso<br />

unübersehbar. Sam, warum hältst du dich so zurück? Sag auch mal et<strong>was</strong>!<br />

SHAW Er brütet eben vor sich hin, wie immer.<br />

BRECHT Es geht nicht nur um das Spiel im Spiel, Eugene. Was Luigi meint, ist die<br />

Vermischung der Ebenen zwischen Aufführungssituation und dramatischer Fiktion.<br />

Da ist Sam tatsächlich ein unerreichter Meister der Mystifikation. So wie ich<br />

es sehe, verdünnt er den <strong>man</strong>ifesten Sinn der Bühnenhandlung bis zu einem solchen<br />

Grade, daß die Interaktion zwischen den Figuren auf die Aufführungssituation<br />

hin transparent wird.<br />

IONESCO Könntest du dich et<strong>was</strong> klarer ausdrücken?<br />

BRECHT Gerne. Was ich meine ist, daß vieles von dem, <strong>was</strong> Sams Figuren sagen,<br />

auch von den Schauspielern über ihre Bühnensituation gesagt werden könnte.<br />

Nimm sein Warten auf Godot: Es stimmt auch für die Schauspieler, daß sie den<br />

ganzen Abend auf Godot warten müssen, daß sie nicht <strong>wissen</strong>, wer Godot ist, daß<br />

sie auch schon am Vorabend auf ihn gewartet haben, daß sie sich freuen, wenn der<br />

Abend vorbei ist, daß sie aber immer noch weitermachen müssen, daß ihnen bald<br />

nichts mehr einfällt, daß sie Verstärkung brauchen könnten, daß sie nur existieren,<br />

wenn sie gesehen werden, und <strong>was</strong> weiß ich. Fast alles, <strong>was</strong> geschieht, wird sinn-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!