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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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Abraham wollte es auch gleich auf der Stelle versuchen, aber ich hatte keinen<br />

Mut mehr, da der Zug jeden Moment abfahren musste.<br />

Resigniert und tief niedergeschlagen verließen wir den Bahnhof. Jetzt<br />

mussten wir natürlich ein Hotel suchen. Auf dem Weg dorthin beschlossen<br />

wir, unser Experiment am nächsten Abend zu wiederholen. Ich glaubte,<br />

dass unser Versagen nur daran gelegen hatte, dass wir einen deutschen<br />

Wagen probiert hatten. Am nächsten Abend wollten wir es mit einem französischen<br />

versuchen.<br />

Zum Glück hatten wir noch etwas französisches Geld bei uns, etwa 150<br />

Franken, genug um ein Zimmer zu bezahlen und am Morgen zu essen. Ich<br />

hatte alles vorgesehen und nicht alle Lebensmittelmarken in Bordeaux zurückgelassen.<br />

Irgendjemand zeigte uns auf unsere Frage hin ein kleines<br />

Hotel. Die Wirtin antwortete uns sehr misstrauisch, und ich glaubte den<br />

Grund zu erraten, als ich zufällig in den Spiegel sah. Da erst bemerkte ich,<br />

dass mein Gesicht, Hände, Mantel und Hosen alles mit schwarzem Ruß<br />

bedeckt war. Abraham war weniger schlimm daran als ich. Aber wir hatten<br />

Glück. Wir bekamen ein kleines Zimmer für 25 Francs und beschlossen,<br />

bald schlafen zu gehen, da wir ja morgen den ganzen Tag Zeit hatten, weiter<br />

zu reden.<br />

Die Sonne schien, und doch war es schneidend kalt, als wir erwachten.<br />

Wir tranken Kaffee, bezahlten und sagten Adieu. Ich konnte mich mit meinem<br />

Mantel, der mit schwarzen Streifen bedeckt war, eigentlich kaum sehen<br />

lassen. Ich hatte das Gefühl, als ob jedermann sehen konnte, dass ich<br />

unter einem Zug gelegen hatte. Ab und zu zog ich den Mantel aus, aber das<br />

schien mir noch auffälliger zu sein als vorher, wenn man an einem eiskalten<br />

Tag mit dem Mantel auf dem Arm daherspaziert. Ich gestehe, dass ich den<br />

ganzen Tag wegen meines Aussehens sehr nervös war und erst aufatmete,<br />

als wir nachmittags in einem Kino verschwanden.<br />

Unsere Brot- und Fettmarken waren fast aufgebraucht, und so musste es<br />

abends gut gehen! Um 19:30 Uhr aßen wir zum letzten Mal und um 20:45<br />

Uhr waren wir wieder auf dem Bahnhof. Der Zug kam wider Erwarten<br />

pünktlich an, und dieses Mal stellten wir uns an seinem Ende auf. Als er<br />

dann stoppte, rannten wir um den letzten Wagen herum und krochen wieder<br />

darunter. Und das Unglaubliche geschah! Dieselbe Situation wie am Abend<br />

zuvor! Keine Möglichkeit, mit dem ganzen Körper einen Platz zu finden.<br />

Außerdem lief ein Eisenbahner mit einer Laterne die Wagen entlang, und so<br />

mussten wir unverrichteter Dinge abziehen.<br />

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