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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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der Stadt aus und quartierte mich in dem großen Hotel „Playa“ ein, wo die<br />

meisten Freunde wohnten, die ich so lange nicht gesehen hatte. So langsam<br />

kam ein fester Tagesplan zustande, um die Zeit nicht unnütz vorbeigehen zu<br />

lassen. Morgens wurde Gymnastik am nahe gelegenen Strand getrieben, es<br />

entstanden Hebräisch-Kurse auf verschiedenen Niveaus und sogar ein Kurs<br />

in Mechanik, theoretisch natürlich.<br />

Eines Tages kam man zur Ansicht, dass man unmöglich Spanien verlassen<br />

konnte, ohne einen Stierkampf gesehen zu haben. Jetzt aber stellte sich<br />

heraus, dass ich kein Geld mehr hatte, denn gemäß der Anordnung, dass<br />

man alles ausgeben musste, bevor man an Bord ging, hatte ich meine ganzen<br />

Pesetas, die ich in Leiza gespart hatte, in den Geschäften von Madrid<br />

gelassen.<br />

Glücklicherweise hatten einige von uns inzwischen Kontakte mit Verwandten<br />

aufgenommen und von denen verschiedene Geldsummen erhalten.<br />

Und so lud man mich auch ein, um eine „Corrida“ zu besuchen. Diejenigen,<br />

die mich einluden, wohnten in meinem früheren Hotel in der Stadt, und wir<br />

verabredeten, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Straßenbahn<br />

an unserem Hotel vorbeifahren würden und ich dann einfach einsteigen und<br />

mit ihnen zusammen zur Corrida in einem nahegelegenen Städtchen fahren<br />

sollte. Aber leichter gesagt als getan! Die Straßenbahnen zur Corrida kamen<br />

schon überfüllt an, und wie es in Spanien üblich war, hingen die Leute<br />

sogar draußen an den Wagen und hielten sich irgendwie fest. Als ich das<br />

sah, beschloss ich, auf das Vergnügen zu verzichten. Hinterher erzählten<br />

mir die anderen, dass ich gar nichts versäumt hätte, aber damals konnte<br />

mich das nicht trösten.<br />

(Erst viele Jahre später, als ich Stierkämpfe im Fernsehen sah, kam ich<br />

zu der Ansicht, dass ich damals wirklich nichts versäumt hatte, denn das<br />

Ganze war nicht nach meinem Geschmack. Sogar auf unserer Reise nach<br />

Spanien im Jahre 1990 wollte ich keinen Stierkampf sehen, und damals<br />

wäre es für uns eine Kleinigkeit gewesen, zu einer Corrida zu gehen.)<br />

Also, die Tage vergingen ziemlich langsam, Gerüchte kamen und gingen<br />

über eine baldige Abreise, aber alles in allem nahm unser faules Leben<br />

seinen Lauf, und das Einzige, was uns wirklich interessierte, war der Verlauf<br />

der Kriegshandlungen und die Fortschritte der Alliierten und der Russen<br />

in Europa.<br />

So ging denn auch der Monat Oktober 1944 seinem Ende entgegen, als<br />

man uns eines Abends plötzlich mit der Mitteilung überraschte, dass ein<br />

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