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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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„Fertigmachen! Anziehen!“ Ich lief zur Flurtür, knöpfte demonstrativ<br />

mein Jacket zu und wollte hinunter marschieren. Meine Absicht war, die<br />

Treppe zu erreichen und dann zu laufen, was ich konnte, aber schon auf der<br />

ersten Stufe wurde ich von dem wachhabenden Kerl zurückgestoßen. So<br />

kehrte ich um, völlig ratlos und keines Gedanken fähig. Fast mechanisch<br />

lief ich in das Hinterzimmer, wo ein Mitbewohner, ein Herr Geismar von<br />

ca. 40 Jahren, schon einige Wochen untergetaucht war. Hinter ein dort befindliches<br />

Kästchen warf ich die Blanko-Identitätskarte. Fast wie durch eine<br />

Nebelwand hörte ich den Herrn fragen: „Nimmst du einen Mantel mit?“ Ich<br />

sagte auf gut Glück ja, aber mein Kopf war ganz woanders, denn ein neuer<br />

Plan begann sich blitzschnell zu formen.<br />

Ich sah vor mir den Balkon und dachte an Norbert, der einmal verhaftet<br />

sich zu retten gedachte und vom dritten Stockwerk hinunter gesprungen<br />

war. Als ich aber hinunter sah, ließ ich diesen Gedanken gleich fahren.<br />

Doch war ich auf dem richtigen Weg! Denken und Handeln folgten fast<br />

gleichzeitig. Ich sprang auf das Holzgeländer, machte einen Schritt um die<br />

Bretterwand herum, die unsern Balkon von dem des Nachbarn trennte, und<br />

war - von unserer Wohnung aus - außer Sicht. Ich wiederholte dies noch<br />

einige Male und war so schnell einige Häuser von der Wohnung entfernt.<br />

Auf den flachen Dächern ringsumher lagen einige Familien im Sonnenbad.<br />

Ich fragte mich später, was die wohl von jenem abenteuerlichen Kletterer<br />

gedacht haben mussten. Inzwischen sprang ich in eine unbekannte<br />

Wohnung, lief zur Flurtüre um hinunter zu gelangen. Aber jene war fest<br />

verschlossen, da die Bewohner außerhalb waren. Letzteres war auch mein<br />

Glück. Was hätte ich auch sagen sollen, wenn ich plötzlich vor den Leuten<br />

gestanden hätte? Schnell wollte ich mich unter einem Diwan verbergen vor<br />

eventuellen Verfolgern, besann mich aber eines anderen und stieg um eine<br />

andere Bretterwand herum in die anliegende Wohnung, die ebenfalls verlassen<br />

war, aber zu meinem Glück war die vordere Flurtür unverschlossen!<br />

Schnell rannte ich hinunter auf die Straße, vorsichtig Umschau haltend,<br />

und bog um die Ecke. Dort parkte ein verlassener Mercedes-Benz mit deutscher<br />

Nummer. Danach rannte ich etwa eine Stunde ziellos umher, am ganzen<br />

Leibe zitternd. Ich hatte wohl das Gefühl gerettet zu sein, aber was,<br />

wenn man meine ganzen Geheimsachen gefunden hatte? Da war ein Brotbeutel<br />

mit Identitätskarten, Stempelkissen und achtzig Lebensmittelkarten.<br />

Wenn die verloren gingen, wäre das eine nicht auszudenkende Katastrophe<br />

für unsere Organisation. Außerdem fürchtete ich für Lore, mit der ich<br />

mich um 16 Uhr verabredet hatte, und die, wenn ich nicht erscheinen wür-<br />

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