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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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unsere Gruppe auflösen würde. Die Fahrt durch die Stadt genoss ich heute<br />

deshalb doppelt. Ich hatte vielleicht zuviel Hoffnung, auf jeden Fall kam<br />

Bewegung in meine Angelegenheit. Was mich betrübte, war nur, dass ich<br />

von den Kameraden in Paris und Bordeaux gar nichts gehört hatte. Es waren<br />

kein einziges Mal Kleider oder Lebensmittel gekommen, während ich<br />

doch wiederholt darum gebeten hatte. Also, schlussfolgerte ich, musste alles<br />

aufgeflogen sein.<br />

An diesem Tag war wenig Arbeit, sodass es möglich war, dass wir<br />

nachmittags nicht wieder hinauskämen. Es wurde nur ein bisschen Holzkohle<br />

geschippt und sonst standen wir in der Sonne und sahen neidvoll die<br />

sommerlich gekleideten Menschen umhergehen.<br />

Die Straßenbahn nach Biarritz fuhr brechend voll vorüber, und ich wollte<br />

nicht verstehen, dass ich nicht dabei sein konnte. Ich war richtig lebenshungrig<br />

geworden.<br />

In der Tat zog sich die Zeit nach dem Mittagessen in der Zelle hin, sodass<br />

ich damit rechnete, diesen herrlichen Nachmittag in der kalten Zelle<br />

verbringen zu müssen. Aber mein Schicksal meinte es wieder gut mit mir.<br />

Bald rief mich der Oberfeldwebel hinaus, und ich musste etwas im Garten<br />

arbeiten. Ich hatte schon des öfteren meine Gärtnerskünste gezeigt und<br />

Zwiebeln gepflanzt, und heute sollte ich Spinat und noch andere Sachen<br />

säen. Das war ein bisschen Ersatz für die Arbeit draußen, denn immerhin<br />

saß ich nicht innerhalb der grauen, unsympathischen Gefängnismauern. Ich<br />

war so ungefähr eine Dreiviertelstunde an der Arbeit und gerade dabei den<br />

Spinat einzuharken, als der Oberfeldwebel in der Gartentür erschien und<br />

laut meinen Namen rief - Hendrik Westerman. Mein erster Gedanke war,<br />

dass doch der Lkw gekommen war, um uns zur Arbeit abzuholen. Als ich<br />

dann zu ihm kam, sagte er nur: „Machen Sie sich fertig! Sie kommen weg.“<br />

„Ach so“, sagte ich, „wir gehen doch noch zur Arbeit“.<br />

„Nein, Sie sind entlassen!“<br />

Mir blieb vor Überraschung, der Mund offen.<br />

„Was“, sagte ich, „das ist doch unmöglich! Wie kann das sein?“<br />

Da wurde der Gefängniskommandant grob: „Ja, meinen Sie, ich erzähle<br />

Ihnen Märchen?“, donnerte er mich an. Ich wusste nicht, wie mir geschah.<br />

Mein Kopf war von einem Wirbel erfasst und richtig denken war unmöglich.<br />

Ich musste sofort in die Zelle und packte dort alles so verkehrt ein und<br />

wieder aus, bis der wachhabende Schließer ungeduldig rief: „Na, mach<br />

schnell, ich hab keine Zeit!“<br />

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