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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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26. Mai 1944<br />

Heute schreibe ich, nach vielen Tagen der Schreibfaulheit, wieder ein paar<br />

Zeilen. Vielleicht bin ich durch den herrlichen Tag angeregt, vielleicht<br />

durch den Schwips, den ich gestern Abend hatte. Es war aber ein harmloser.<br />

„Onkel“, Ernst und ich, vor allem ich, tranken mehr Wein, als wir gewohnt<br />

waren, und bald zeigten sich die ersten Anzeichen der Fröhlichkeit. Nach<br />

dem Rotwein folgten ein bis zwei Kognacs und zum Schluss noch ein Muskateller.<br />

Auf jeden Fall war ich außerordentlich früh am Morgen wach und<br />

beschloss, einen kleinen Spaziergang in die Berge zu machen. Ich habe<br />

wirklich lange einen Frühlingsmorgen entbehrt, es tat mir sehr gut, und ich<br />

bekam daher wahrscheinlich allerhand literarische Ideen, deren Ausführung<br />

hier mit diesen Zeilen beginnt - und, wahrscheinlich, auch endet.<br />

Wir warten jetzt darauf, bald nach Madrid zu gehen, man denkt in ein<br />

oder zwei Wochen. Von dort geht es dann zu einem Hafen, Malaga glaube<br />

ich, und dann weiter. Wir reden viel über unsere nächste Zukunft, aber<br />

wenn irgendetwas sehr undeutlich und nebelhaft ist, dann ist es das. Ich<br />

bekomme richtige Bauchschmerzen davon. Aber das ist meine Sache. Unseren<br />

Tageslauf will ich jetzt niederschreiben:<br />

Ich stehe jeden Morgen um 8:30 Uhr auf und treibe von 9 bis 9:45 Uhr<br />

Gymnastik auf der Plaza mit noch einem Dutzend anderen. Danach Kaffeetrinken<br />

und bis zum Mittagessen um 13:30 Uhr lerne ich meistens Spanisch.<br />

Nach dem Essen mache ich spanische Aufgaben für den Kursus und lerne<br />

ab und zu Englisch. Danach schreibe ich oft Briefe oder schlafe etwas. Um<br />

ca. 19 Uhr abends trinkt man Schokolade, und anschließend habe ich mit<br />

zwei anderen Spanisch.<br />

Danach, das ist um 20:30 Uhr, gehe ich spazieren, oder man unterhält<br />

sich. Um 21:30 Uhr Souper, und danach, das ist ungefähr 23:30 Uhr, nach<br />

Hause und ins Bett. Bis 0:30 Uhr, je nachdem, noch Bettgespräche mit den<br />

dazugehörigen Schweinigeleien.<br />

22. Juni 1944<br />

Gestern setzte der kalendarische Sommeranfang mit viel Regen ein. Man<br />

sitzt unterdessen noch immer in diesem etwas langweiligen Dorf, und es<br />

warten alle auf eine baldige Alijah 38 . Diese ist durch die letzten Ereignisse,<br />

die Invasion am 6. Juni, sehr in Frage gestellt. Doch aus Madrid versichert<br />

man uns immer wieder, dass alles bald seinen guten Lauf nehmen würde.<br />

Hoffen wir es!<br />

38<br />

Auswanderung nach Israel, wörtlich: Aufstieg (nach Zion). (Ch.Fl.)<br />

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