Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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Wir alle waren von einer solchen Freude erfüllt, dass wir uns beherrschen<br />
mussten, um keine Luftsprünge zu machen, denn vom deutschen Posten aus<br />
konnte man uns noch sehen. Welch ein Glück hatten wir! Willy meinte aber<br />
nur, unerschütterlich wie immer: „Na, hab ich euch doch gesagt!“<br />
So fuhren wir also bald zum ersten Mal auf französischem Boden in<br />
Richtung Roubaix.<br />
Nach einer halben Stunde kamen wir dort an und kauften erst einmal<br />
Weintrauben, die nicht mehr als 15 Franken per Kilo kosteten. Dann ging es<br />
in einer brechend vollen anderen Bahn nach Lille, wo wir gegen 16 Uhr auf<br />
dem Place du Théatre ausstiegen. Ursprünglich hatten wir den Zug um 14<br />
Uhr nach Paris erreichen wollen, aber dazu war es in Belgien durch unsern<br />
Zwischenfall zu spät geworden. So beschlossen wir, um 17:30 Uhr mit dem<br />
Express zu fahren. Wir gingen zum Bahnhof, und nun begann jener Prozess,<br />
an den wir uns schnell gewöhnen mussten, nämlich auf Kosten der deutschen<br />
Wehrmacht zu leben. Dank unserem so wertvollen Marschbefehl 26<br />
gingen wir zur Wehrmachtskantine und aßen inmitten vieler deutscher Soldaten<br />
eine gute dicke Suppe und tranken Kaffee dazu, alles kostenlos, versteht<br />
sich. Dann gingen Willy und Zippi in die Stadt, um zu erreichen, dass<br />
wir auch Marschverpflegung bekämen.<br />
Inzwischen gingen einige von uns auf dem Bahnhof spazieren, während<br />
einer immer auf das Gepäck Acht gab. Ich kaufte mir sofort in einem Kiosk<br />
ein französisch-deutsches Wörterbuch. Als wir so eine ¾-Stunde gewartet<br />
hatten, kehrten Willy und Zippi zurück. Aber man frage nicht, wie. Mir<br />
blieb vor Überraschung fast die Sprache weg. Die Köpfe sah man kaum,<br />
weil jeder von ihnen einen Berg von Kommissbroten trug!<br />
Wir mussten uns bei dem Anblick ein Lachen verbeißen. Außer den<br />
Broten waren da etliche Pfunde Butter und gute, seit langem entbehrte<br />
Würste. Kaum dass wir alles einpacken konnten! Als wir später zum Zuge<br />
gingen, trug jeder etwa zwei Kommissbrote in den Händen, die Würste und<br />
Butter in den Taschen verstaut. Willy ging direkt zum Zugführer und zeigte<br />
ihm einen Marschbefehl, der besagte, dass wir nach Paris mussten. Demzufolge<br />
durften wir in einen fast leeren Wehrmachtswagen einsteigen und<br />
machten es uns bequem. Unsere Stimmung war natürlich ausgezeichnet.<br />
26 Ein von einer deutschen Militärbehörde ausgestellter Ausweis, der dazu diente, Soldaten<br />
sowie auch Zivilarbeiter für die Wehrmacht ihren Standort bzw. Arbeitsplatz wechseln zu<br />
lassen. Dieser Ausweis berechtigte zur Gratisbenutzung aller Eisenbahnverbindungen, zum<br />
kostenlosen Erhalt von Reiseproviant und Unterkunft. Die Marschbefehle, die wir benutzten,<br />
waren meistens gefälscht. (Ch.Fl.)<br />
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