Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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entfernt war. Hinterher tat es mir leid, dass ich in meiner Bestürzung vergessen<br />
hatte, von den anderen Abschied zu nehmen.<br />
Ich ging nach Hause und wartete ab, indem ich versuchte etwas zu essen.<br />
Gerade als ich Erkundigungen einziehen wollte, wie die Sache in der<br />
Stadt stände, sah ich bei jüdischen Nachbarn die Polizei klingeln und wusste<br />
nun, was das zu bedeuten hatte. In diesem Augenblick war ich völlig<br />
ratlos. Nur ein Gedanke beherrschte mich: Hinaus, ins Freie, fort von hier!<br />
Ich verabredete einige technische Dinge mit meinem Vermieter, einem<br />
durch Mischehe geschützten Mann, und verließ das Haus durch den an der<br />
Hinterseite liegenden Garten, sodass ich nicht auf der Straße zu gehen<br />
brauchte. Instinktiv bedeckte ich den Judenstern. Ihn ganz abzumachen,<br />
fehlte mir noch der Mut. Wohin ich die nächste halbe Stunde gelaufen bin,<br />
weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall machte ich mir Vorwürfe, dass ich für<br />
eine derartige Situation nicht vorgesorgt und beizeiten einen provisorischen<br />
Zufluchtsort gesucht hatte. Die Situation wurde nämlich kritisch.<br />
Es ging auf 8 Uhr abends zu, und das hieß für uns Juden, zu Hause zu<br />
sein. Unterdessen lief ich ziellos herum und wusste nicht wohin. Zu allem<br />
Unglück war es noch nicht dunkel genug, um draußen bleiben zu können.<br />
Endlich kam ich auf den Gedanken, zu einem früheren Arbeitskollegen aus<br />
der Gärtnerei zu gehen. Es handelte sich ja nur um eine bis anderthalb<br />
Stunden. Die Menschen, die ich dort antraf, waren mir fremd, aber mein<br />
Bekannter war, wie erwartet, zu Hause. Man redete erst von ganz nebensächlichen<br />
Dingen. Als ich aber auf den eigentlichen Zweck meines Besuches<br />
zu sprechen kam, schwiegen alle betreten. Der Vater und Hausherr<br />
wollte nicht, dass ich bleibe. Seine Frau und die Tochter versuchten ihn<br />
umzustimmen, und der Sohn, mein Bekannter, stand etwas betreten abseits.<br />
Und ich daneben mit einem Gefühl von Hilflosigkeit, das ich in meinem<br />
bisherigen Leben kaum gekannt hatte. Was nun?<br />
Es war eine verzweifelte Situation. Ungefähr 20.15 Uhr und ich ohne<br />
Zufluchtsort. Ich konnte ja, sobald ich die Straße wieder betrat, trotz des<br />
verdeckten Judensterns von jemandem erkannt werden, der mir übel gesinnt<br />
war. Die wenigen Juden zu kennen, die damals noch in Gouda übrig waren,<br />
war kein Kunststück. Endlich, nachdem ich eine Weile ziellos umhergelaufen<br />
war, schoss mir plötzlich mein auf dem Schwarzmarkt tätiger Butterlieferant<br />
durch den Kopf. Er hatte ganz in der Nähe sein Häuschen. Nachdem<br />
ich mich vergewissert hatte, dass keine Kunden da waren, trat ich ein und<br />
brachte mein Anliegen vor, mich etwa eine Stunde in seinem Schuppen<br />
aufhalten zu dürfen. Er verstand ganz gut, worum es ging, und gestattete es.<br />
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