Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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ich kam, wusste er wieder nichts. So beschloss ich, mir selber ein Obdach<br />
zu verschaffen, und verabredete mich für den nächsten Morgen mit ihm.<br />
Meine Verwandten waren verängstigt und wollten mich nicht bei sich<br />
übernachten lassen. Ein anderer Freund hatte eventuell etwas für mich, aber<br />
ich war so erbost über alles, dass ich beschloss, nach Gouda zurückzufahren<br />
und dort die Nacht in meiner alten Wohnung zu verbringen.<br />
Genau als es 23 Uhr schlug, klingelte ich bei meinem Vermieter, der die<br />
Hände vor Schreck zusammenschlug. Er war ziemlich böse auf mich, musste<br />
mich aber doch einlassen. Ich versprach ihm, morgens in aller Frühe<br />
wieder zu verschwinden. So schlief ich dann sehr unruhig auf dem schon<br />
abgezogenen Bett in einem unordentlichen Durcheinander.<br />
Am nächsten Morgen wiederholte sich derselbe Vorgang wie 24 Stunden<br />
zuvor. Dieses Mal hatte ich mich sogar im Zug geirrt und musste qualvolle<br />
30 Minuten auf dem hell gewordenen Bahnsteig verbringen. Gegen<br />
Mittag sprach ich wieder mit Hannemann. Er gab mir eine Adresse, von der<br />
er aber nicht wusste, ob man mich dort aufnehmen würde. Auf dem Wege<br />
dorthin sagte ich mir dauernd: Es muss! Denn diese Nacht konnte ich nicht<br />
wieder nach Gouda zurück. Aber ich hatte Glück! Eine nette Frau öffnete<br />
mir und innerhalb von drei Minuten war alles erledigt. Nun wusste ich wenigstens,<br />
wo ich abends schlafen konnte. Ich hatte nur mit einem Aufenthalt<br />
von einigen Tagen gerechnet, da mir Hannemann einen Platz auf dem Lande<br />
in Aussicht gestellt hatte.<br />
So zog ich dann nachmittags in mein Dachstübchen ein, das ich mit einem<br />
Studenten teilen sollte. Aus den Tagen wurden Wochen, und aus Wochen<br />
Monate. Jene Amsterdamer illegale Zeit begann, anfangs so leer und nutzlos,<br />
und später so ereignisreich und sogar produktiv. Ich zahlte drei Gulden Pension<br />
pro Tag und lebte in einem sehr netten und freundlichen Milieu.<br />
Die ersten 14 Tage bildeten für mich eine harte Nervenprobe. Kaum,<br />
dass ich den Mut fand, tagsüber zwei Stunden spazieren zu gehen. Es<br />
schien, als ob mir jeder auf die Stelle sähe, wo einst der Stern gesessen<br />
hatte. Abends nach 20 Uhr wagte ich mich erst recht nicht vor die Türe, von<br />
Straßenbahnen oder Kinos gar nicht zu reden. Erst ganz allmählich streifte<br />
ich diese Scheu ab, überwand mich, ging tagsüber in die Stadt, besuchte<br />
Konzerte und Geschäfte, wann ich wollte, und bewegte mich bald wie einer,<br />
der nie einen Stern getragen hatte.<br />
Es folgten Monate, in denen ich im Ganzen gesehen mehr Zuschauer als<br />
Teilnehmer war. Ich erlebte Vorbereitung, Fehlschlagen und Gelingen von<br />
Transporten mit Chawerím, sei es nach Frankreich oder nach Deutschland.<br />
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