Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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Endlich beschloss ich, bei meiner Arbeit zu bleiben - denn das war die<br />
beste Ablenkung - und nachts wieder zu Hause zu schlafen. Ich blieb nämlich<br />
wegen der schlechten Witterung während der Wintermonate Tag und<br />
Nacht im Altersheim, das eine gute halbe Stunde von meinem Zimmer<br />
entfernt lag. Die Parole hieß also inzwischen: Abwarten, abwarten und noch<br />
mal abwarten! Aber das fortwährende Abwarten ging einem schließlich so<br />
auf die Nerven, dass man das Gefühl bekam: Man darf nicht so untätig<br />
herumsitzen und auf den lieben Gott vertrauen, sondern das Schicksal selbst<br />
versuchen zu lenken, soweit das eben möglich ist.<br />
Es war gerade in jenen Februartagen, in denen ich, wenn kein Abenddienst<br />
war, davon zu träumen begann, wie schön (ein anderes Wort wüsste<br />
ich nicht, um das Gefühl wiederzugeben) es sein müsste, jetzt in Freiheit<br />
leben zu können, mit anderen Worten, in irgendeinem neutralen Land zu<br />
sein, diese dauernden Ängste loszuwerden und wieder aufatmen, ganz tief<br />
und befreit aufatmen zu können. Das war doch gar nichts Unmögliches,<br />
schien mir. Unsere Heimleiterin hatte zum Beispiel von guten Bekannten<br />
die Information erhalten, dass sie gut und wohlbehalten in der Schweiz angekommen<br />
waren. Ich stand dabei, als sie uns die Karte vorlas, und hatte<br />
ein Gefühl, als ob da Leute vom Mond eine Nachricht gesandt hätten. Dies<br />
war der überragende erste Eindruck.<br />
Als nächstes dachte ich dann nach, wie es diese Leute wohl fertig gebracht<br />
hatten, von Holland in die Schweiz zu kommen. Tja, da waren vor<br />
allem viel, viel Geld und gute Beziehungen nötig. Da genügte es nicht, nur<br />
19 Jahre alt zu sein und den festen Willen zu haben, nicht in die Hände der<br />
Deutschen zu geraten. Einige freie Stunden sonnte ich mich in dem Gedanken,<br />
dass auch mir so etwas gelingen könnte, aber wo sollte ich das Geld<br />
und vor allem die Beziehungen hernehmen? Nein, sagte ich mir, wenn es<br />
nur darauf ankommt, bleibt mir trotz allen Sträubens nichts anderes übrig,<br />
als mit nach Polen zu gehen. Und ich war während der nächsten Tage nicht<br />
wenig deprimiert, zumal ich hörte (Lilo Spiegel, die Haushälterin im Altersheim,<br />
war es, von der ich immer die Neuigkeiten erfuhr), dass es einigen<br />
Chawerim 18 , darunter auch Adina, gelungen war, in die Schweiz zu gelangen.<br />
Das gab mir den Rest!<br />
Zum Teufel noch mal, da kam ja jeder in die Schweiz! Erst kürzlich<br />
mein Freund Günter Wolf aus Amsterdam und letztens Rolf Schloss, der<br />
Leiter der Jugendgruppe in Gouda. Warum sollte es nicht auch mir gelin-<br />
18 Chawér, Plural Chawerím: hebr. für Kamerad, Freund. (Ch.Fl.)<br />
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