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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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gen? Zum Glück wurde meine Reiseerlaubnis genehmigt, die ich beantragt<br />

hatte, um für zwei Tage nach Amsterdam zu fahren. Herrlich, wieder einmal<br />

aus der engen und doch so liebgewonnenen Provinzstadt wegzukommen!<br />

Ich wollte Samstagmorgen abfahren und Sonntagabend wieder zurückkehren.<br />

Lilo gab mir einen Brief mit, den ich in Amsterdam bei Freunden<br />

von ihr abgeben musste. Ich erwähne absichtlich eine nichtige Kleinigkeit<br />

wie diesen Brief wegen der einfachen Tatsache, dass er der eigentliche<br />

Grundstein meiner Zukunft werden sollte. Wie heißt das Sprichwort?<br />

Kleine Ursache, große Wirkung!<br />

Die Tolstraat, wo ich besagten Brief abgeben musste, liegt in einem von<br />

vielen Juden bewohnten Viertel Amsterdams, das von außen ziemlich hässlich<br />

und ohne besondere Merkmale war und in den Jahren nach dem Ersten<br />

Weltkrieg gebaut wurde. Als ich endlich vor dem Hause stand, klingelte<br />

ich. Es dauerte ziemlich lange, bis jemand öffnete, wie das so oft in jüdischen<br />

Häusern der Fall war, denn man versuchte sich zuerst zu vergewissern,<br />

ob es nicht etwa die gefürchtete Grüne Polizei 19 oder die Schwarze<br />

holländische Miliz sei. Denn Amsterdam war zu jener Zeit ein wahrer Hexenkessel.<br />

Abend für Abend wurden Hunderte von Juden, die nicht durch<br />

die begehrten Sperrstempel vorläufig von der Deportation - von den Deutschen<br />

Arbeitseinsatz genannt - befreit waren, aus ihren Wohnungen geholt.<br />

Man konnte plötzliche Razzien, neue Verordnungen, kurz, alles Mögliche<br />

und Unmögliche erwarten, und besonders in Amsterdam war man nie sicher,<br />

eine ruhige Nacht zu verbringen. Wer heute beispielsweise noch verhältnismäßig<br />

sicher war und den Kopf hoch tragen konnte, war vielleicht<br />

schon zwei Tage später in Westerbork und bat Verwandte oder Bekannte,<br />

ihm Lebensmittelpakete zu schicken.<br />

Ich habe mich nie zu Unrecht glücklich gepriesen, während dieser Zeit des<br />

NS-Terrors in Gouda gelebt zu haben, wo man alles nur vom Erzählen kannte.<br />

Auch einer dieser Glücksfälle, die ich wahrhaftig voll zu schätzen wusste!<br />

Also, ich stieg eine steile, endlose Treppe hoch und dort oben stand kein<br />

anderer als Kurt Hannemann 20 , den ich nach der Auflösung des Werkdorfes<br />

nie wieder gesehen hatte.<br />

19 In den Niederlanden verwendete Bezeichnung für die „Ordnungspolizei“, welche hinter den<br />

militärischen Kriegsfronten den rassischen Vernichtungskrieg durchführte. (B.MC./H.N.)<br />

20 Kurt Hannemann, der aus Berlin stammte, war enger Mitarbeiter und Freund von Schuschu<br />

(Joachim) Simon, dem Spiritus rector des Widerstands. Er hatte sehr bald erkannt, dass hinter<br />

der Aufforderung an die in Holland lebenden Juden, sich für einen Arbeitseinsatz zu melden,<br />

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