Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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man über dieses Hindernis weglaufen könnte, aber das schien doch unmöglich.<br />
Wenn ich nicht schlief und mich nicht irgendwie mit etwas in der Zelle<br />
beschäftigte, stand ich vor der Tür und sah durch das Guckloch, um etwas<br />
von dem zu erhaschen, was draußen vorging. Obwohl es nicht viel war, so<br />
war doch jeder Vorgang etwas, das die Neugier befriedigte. Meistens sah<br />
ich nur den Wächter, der von irgendeiner Zelle herangeklingelt wurde, um<br />
Rasierzeug vom Büro zu holen oder um etwas Wasser zu bringen. Oder er<br />
kam von selbst, um Häftlinge zum Verhör zu holen.<br />
Was Verhör betrifft, ich begriff überhaupt nicht, wo mein SD-Inquisitor<br />
vom Freitag geblieben war. Ich erschrak noch immer bei jedem Klingelzeichen<br />
und bildete mir sogar manchmal ein, in dem Stimmengewirr meinen<br />
Namen zu hören, aber das erwies sich als Halluzination. Ich wartete noch<br />
immer täglich auf ein erneutes Verhör, aber es kam nicht.<br />
Inzwischen hatte ich Gelegenheit, mir meinen ganzen Fall durch den<br />
Kopf gehen zu lassen, und ich bereitete mich auf jegliche eventuelle Frage<br />
vor. Vor allem machte ich mir in den ersten Tagen Sorgen, dass sich in<br />
meiner Brieftasche an belastendem Material ein Zettelchen befand, worauf<br />
erstens alle Adressen standen, die man uns für Spanien in Toulouse mitgegeben<br />
hatte, und zweitens Adressen von Zippi und Kurt Mendels Verwandten<br />
und meine eignen Adressen von Verwandten und Bekannten im Ausland.<br />
Schon reimte ich mir zusammen, was die SDler sich denken würden,<br />
wenn sie das gefunden hätten. Aber ich, der anfangs den Glauben an meinen<br />
guten Stern verloren hatte, sah, dass das Schicksal doch wieder anfing,<br />
es gut mit mir zu meinen. Ich trug die ganze Zeit eine Manchesterhose und<br />
bemerkte plötzlich die kleine Tasche an der Hosennaht für den Zollstock. In<br />
diesem Augenblick kam mir eine Erleuchtung und ich bohrte mit dem Finger<br />
so lange darin herum, bis ich zwei Zettelchen mit den bewussten Adressen<br />
in der Hand hielt. Ich wusste nicht, was zu tun vor lauter Freude, und<br />
ich bin, nachdem ich alles sorgfältig zerrissen und ins Klosett geworfen<br />
hatte, wild wie ein Indianer in der Zelle herumgetanzt. Denn das war ungeheures<br />
Glück, dass ich diese Papiere noch von der letzten Pyrenäenfahrt in<br />
jener verborgenen Tasche hatte. Aber viel würde es ja doch nicht ändern,<br />
und bei diesem Gedanken schlug meine Freudenstimmung schnell wieder in<br />
tiefe Resignation um.<br />
Die halbe Stunde jeden Tag im Hof genoss ich, ob Regen oder Sonnenschein.<br />
Oft musste ich mich zusammenreißen, um auf und ab zu gehen.<br />
Meistens stand ich, sah zum Himmel empor, wo die Vögel so frei herum-<br />
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