Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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Und so kam dann der 20. März 1941. Gegen 11 Uhr mittags erklang<br />
plötzlich das Glockensignal, das immer nur zur Ankündigung von Arbeitsanfang<br />
oder -ende benutzt wurde. Nichts Gutes ahnend begaben sich alle<br />
zum Platz vor dem Hauptgebäude, wo uns Deutsche in Uniform und in<br />
Zivil erwarteten. Man befahl uns, in den Essraum zu gehen, und dort kam<br />
der Befehl: "Die Männer links, die Frauen rechts!"<br />
Alle stellten sich schon das Schlimmste vor, nämlich Transport in eines<br />
der Konzentrationslager. Dann wurde uns mitgeteilt, dass das Werkdorp<br />
geräumt würde und wir 5 Minuten Zeit hätten, unsere Habseligkeiten einzupacken.<br />
Wir eilten in unsere Schlafräume und danach mussten wir uns<br />
draußen auf dem Platz in Reih und Glied aufstellen. Es herrschte dumpfes<br />
Schweigen, bis unser Direktor Abel Herzberg hervortrat, um sich den Deutschen<br />
als Leiter des Ortes vorzustellen. Er wurde aber barsch zum Schweigen<br />
gebracht. Inzwischen hatte einer der holländischen Vorarbeiter Mut<br />
gefasst und den Deutschen klar gemacht, dass man nicht so ohne weiteres<br />
das Vieh und die gesamte Landwirtschaft liegen lassen konnte. Das sahen<br />
sie auch ein und erlaubten nach kurzer Beratung, 60 Bewohner am Ort zu<br />
lassen. Jeder Vorarbeiter konnte sich nun eine bestimmte Anzahl Arbeiter<br />
aus seinem Betrieb auswählen.<br />
So kam dann auch die Reihe an unsern Vorarbeiter namens Slabbekoorn,<br />
und als er an mir vorbeischritt, wählte er auch mich aus. Ich war<br />
überglücklich aus der Reihe treten und in mein Zimmer zurückkehren zu<br />
dürfen. Ich verstand zwar nicht, warum die Wahl auf mich gefallen war, da<br />
ich nur wenige Monate bei ihm im Gartenbau gearbeitet hatte. Aber viel<br />
Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. Wir hingen später an den Fenstern und<br />
mussten zusehen, wie unsere Kameraden in Autobusse steigen mussten und<br />
dann wegfuhren.<br />
Danach setzte sich unsere Gruppe erst einmal zum Essen, und man versuchte<br />
zu erraten, was mit den anderen geschehen würde. Nach circa 3 Stunden<br />
hörten wir dann zu unserer Erleichterung, dass man alle nach Amsterdam<br />
gebracht hatte. Dort wurden sie den jüdischen Autoritäten übergeben,<br />
die sie wiederum als Untermieter an jüdische Familien verteilten.<br />
Wir konnten wieder einmal aufatmen! Nach diesem Schlag kehrten wir<br />
bald zu unserer alltäglichen Arbeit zurück. Wir waren zu einem intimen<br />
Kreis zusammengeschmolzen und fühlten uns wie eine große Familie.<br />
Später machten Gerüchte die Runde, dass man alle Evakuierten wieder<br />
zurückbringen wollte, da den Deutschen sehr daran gelegen war, die Ver-<br />
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