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Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

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und ins Sammellager Westerbork geschickt worden waren, bereiteten sich<br />

langsam und vor allem innerlich auf eine baldige Aktion vor. Man hatte<br />

inzwischen für solche Dinge ein wahres Fingerspitzengefühl bekommen,<br />

was aber hier nicht einmal nötig war, da ganz bestimmt nach ca. drei Monaten<br />

Ruhe wieder einmal etwas geschehen musste.<br />

Ich schwankte in dieser Zeit zwischen zwei Entschlüssen. Sollte ich das<br />

Altersheim verlassen, wo ich bisher geschützt gewesen war, da wegen der<br />

angeblichen Dysenterie alles von der Außenwelt - jedenfalls theoretisch -<br />

hermetisch abgeriegelt war, oder sollte ich wieder in mein Zimmer in der<br />

Sophiastraat übersiedeln und dort abwarten, bis die ganze Situation irgendwie<br />

klarer wurde? Denn das Ende des Schreckens kannte jeder nur in Form<br />

eines Lagers, allein die näheren Umstände waren derzeit noch ein Geheimnis.<br />

Ich muss gestehen: Ich lebte jeden Tag in der Angst, auch einmal den<br />

Weg der vielen Tausenden von Juden gehen zu müssen. Ich bin in dieser<br />

Beziehung - überhaupt was Entscheidungen, die eine Gruppe Menschen<br />

betreffen, zu denen ich auch zählte - von einem merkwürdigen, unerklärlichen<br />

Oppositionsgeist beseelt. Ob das eine gute oder schlechte Eigenschaft<br />

ist, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall handelte es sich hier um gesunde<br />

Opposition: Ich wollte auf keinen Fall nach Polen! Wann ich zum<br />

ersten Male diesen Gedanken fasste, weiß ich nicht, nur eins hämmerte<br />

immer wieder durch mein Hirn: Du lieber Gott, mache, dass ich nicht auch<br />

verschickt werde! Die Ausführung überließ ich in etwas naivem Vertrauen<br />

meinem Beschützer, der mich bis jetzt vor diesem Los bewahrt hatte.<br />

Denn es stellte sich heraus, dass mein Name durch einen merkwürdigen<br />

Zufall nicht auf der Deportationsliste der Polizei in Gouda stand. Das, was<br />

für viel Geld oder Diamanten oder durch Protektion nicht erreicht werden<br />

konnte, war mir mit meinem unerklärlichen Glück in den Schoß gefallen!<br />

Ich brauchte also nie die Angst zu haben, plötzlich abgeholt zu werden,<br />

doch bedeutete das nicht, dass ich außer Gefahr war. Man konnte vor allem<br />

bei einer radikalen Räumung des Altersheims dabei sein, weshalb ich auch<br />

erwog, die Ereignisse lieber zu Hause abzuwarten. Man konnte ferner auf<br />

der Straße verhaftet werden, denn den Judenstern musste ja jeder tragen,<br />

auch wenn er ein so unjüdisches Äußere hatte wie ich. Und schließlich<br />

konnten auch einmal alle Häuser, in denen noch Juden wohnten, abgesucht<br />

und die Bewohner mitgenommen werden.<br />

Also Grund, um mich viel besser als die anderen zu fühlen, hatte ich<br />

ganz und gar nicht.<br />

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