09.11.2012 Aufrufe

Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das Essen war sehr gut, sagte man uns, so gut und so viel hatte keiner von<br />

allen jemals in Frankreich gegessen. Die Wartezeit war nötig, weil am<br />

nächsten Abend noch Leute ankamen, und am Sonntag wollte unser Bergführer<br />

nicht abmarschieren. Kaum hatten wir Zeit zum Essen, so sehr waren<br />

wir ins Erzählen geraten! Wir packten unsere Goudaer Zeit aus und erzählten<br />

unsere Erlebnisse in Amsterdam. Man erkundigte sich nach diesem oder<br />

jenem Freund, und so wurde es spät. Bis wir uns richtig ins Heu eingegraben<br />

hatten, dauerte es noch etwas, und bald schliefen wir ein. Außer wenn<br />

einer während der Nacht mal raus musste und denen, über die er steigen<br />

musste, auf die Füße trat, schlief jeder bis zum Morgen durch.<br />

Unter allerhand Redensarten, jeder nach seiner Gemütsstimmung, begrüßte<br />

man sich. Ich hatte einen etwas ungünstigen Platz vorne am Eingang.<br />

Erstens war es dort kalt, und zweitens hatte mir jeder, der hinausging,<br />

zweimal, nämlich auf dem Hin- und auf dem Rückweg, auf die Füße getreten.<br />

Aber mit einem scherzhaften Fluch war alles vergessen. Abraham<br />

Hellmann, der an meiner Seite lag, war etwas krank und schlief noch. Mir<br />

gegenüber lag Werner Kahn, der sein mit Ekzemen bedecktes Gesicht<br />

schon eine geschlagene Viertelstunde in einem kleinen Spiegel betrachtete.<br />

Heini Friedmann, neben ihm und ebenfalls leicht krank, erwachte gerade.<br />

Draußen herrschte schönes Wetter. So richtiges Wanderwetter, aber leider<br />

mussten wir ja noch warten. Um 8:30 Uhr brachte ein hübsches weibliches<br />

Wesen eine Kanne Kaffee und einige mächtige Brote. Diese machten<br />

zwar den Eindruck, ausreichend für uns zu sein, doch erwies sich dieser<br />

Gedanke als übertrieben optimistisch. Na, wir hatten ja jeder noch eigenen<br />

Proviant. Nach dem Frühstück kletterte der eine oder andere hinunter, um<br />

am Bach seine Morgentoilette zu machen, so gut das möglich war. Wer zu<br />

faul war, ließ sie ganz ausfallen.<br />

Man musste die größte Vorsicht walten lassen, um nicht irgendwie vom<br />

Dorfe gesehen zu werden. Man war zwar geschützt von einigen Hecken, aber<br />

vollkommen war diese Tarnung nicht. Ich muss gestehen, dass ich an diesem<br />

ersten Tag in jener Hütte nervöser war als in allen anderen noch kommenden<br />

kritischen Situationen. Aber daran war nun einmal der unerwartete Aufenthalt<br />

schuld und das untätige Herumsitzen. Wir saßen nach Belieben in Gruppen<br />

beieinander und erzählten. Vor allem Paul gab in seinem geschmückten Erzählerstil<br />

Amsterdamer Geschichten vom Jüdischen Rat zum Besten und erntete<br />

großen Beifall. Wer nicht zuhörte, las etwas oder versuchte zu schlafen.<br />

Die Gegend, in der wir uns befanden, war für uns bergentwöhnte Holländer<br />

sehr reizvoll. Vor uns das tiefgelegene Dorf und hinter uns steil ab-<br />

94

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!