Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
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Das Essen war sehr gut, sagte man uns, so gut und so viel hatte keiner von<br />
allen jemals in Frankreich gegessen. Die Wartezeit war nötig, weil am<br />
nächsten Abend noch Leute ankamen, und am Sonntag wollte unser Bergführer<br />
nicht abmarschieren. Kaum hatten wir Zeit zum Essen, so sehr waren<br />
wir ins Erzählen geraten! Wir packten unsere Goudaer Zeit aus und erzählten<br />
unsere Erlebnisse in Amsterdam. Man erkundigte sich nach diesem oder<br />
jenem Freund, und so wurde es spät. Bis wir uns richtig ins Heu eingegraben<br />
hatten, dauerte es noch etwas, und bald schliefen wir ein. Außer wenn<br />
einer während der Nacht mal raus musste und denen, über die er steigen<br />
musste, auf die Füße trat, schlief jeder bis zum Morgen durch.<br />
Unter allerhand Redensarten, jeder nach seiner Gemütsstimmung, begrüßte<br />
man sich. Ich hatte einen etwas ungünstigen Platz vorne am Eingang.<br />
Erstens war es dort kalt, und zweitens hatte mir jeder, der hinausging,<br />
zweimal, nämlich auf dem Hin- und auf dem Rückweg, auf die Füße getreten.<br />
Aber mit einem scherzhaften Fluch war alles vergessen. Abraham<br />
Hellmann, der an meiner Seite lag, war etwas krank und schlief noch. Mir<br />
gegenüber lag Werner Kahn, der sein mit Ekzemen bedecktes Gesicht<br />
schon eine geschlagene Viertelstunde in einem kleinen Spiegel betrachtete.<br />
Heini Friedmann, neben ihm und ebenfalls leicht krank, erwachte gerade.<br />
Draußen herrschte schönes Wetter. So richtiges Wanderwetter, aber leider<br />
mussten wir ja noch warten. Um 8:30 Uhr brachte ein hübsches weibliches<br />
Wesen eine Kanne Kaffee und einige mächtige Brote. Diese machten<br />
zwar den Eindruck, ausreichend für uns zu sein, doch erwies sich dieser<br />
Gedanke als übertrieben optimistisch. Na, wir hatten ja jeder noch eigenen<br />
Proviant. Nach dem Frühstück kletterte der eine oder andere hinunter, um<br />
am Bach seine Morgentoilette zu machen, so gut das möglich war. Wer zu<br />
faul war, ließ sie ganz ausfallen.<br />
Man musste die größte Vorsicht walten lassen, um nicht irgendwie vom<br />
Dorfe gesehen zu werden. Man war zwar geschützt von einigen Hecken, aber<br />
vollkommen war diese Tarnung nicht. Ich muss gestehen, dass ich an diesem<br />
ersten Tag in jener Hütte nervöser war als in allen anderen noch kommenden<br />
kritischen Situationen. Aber daran war nun einmal der unerwartete Aufenthalt<br />
schuld und das untätige Herumsitzen. Wir saßen nach Belieben in Gruppen<br />
beieinander und erzählten. Vor allem Paul gab in seinem geschmückten Erzählerstil<br />
Amsterdamer Geschichten vom Jüdischen Rat zum Besten und erntete<br />
großen Beifall. Wer nicht zuhörte, las etwas oder versuchte zu schlafen.<br />
Die Gegend, in der wir uns befanden, war für uns bergentwöhnte Holländer<br />
sehr reizvoll. Vor uns das tiefgelegene Dorf und hinter uns steil ab-<br />
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