Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Aber was nützte es mir? Denn nach einigen Tagen nahm ich die Abendzeitung<br />
aus dem Briefkasten, und darin stand die neueste Verordnung, bei<br />
der ich wieder das gleiche Schreckgefühl bekam wie ein Jahr zuvor, als die<br />
Verordnung über das Tragen des Judensterns veröffentlich wurde. Diesmal<br />
betraf es die gesamte Räumung der Provinzen von Juden bis zum 23. April<br />
1943. Jeder Jude musste sich bis dann im Lager Vught einfinden. Es bedeutete<br />
für alle, die noch frei waren, einen Schlag, obwohl man darauf vorbereitet<br />
war. Aber vor Mai hatte es keiner erwartet. Jetzt hieß es also untertauchen!<br />
Der Gedanke, dieser Verordnung Folge zu leisten, kam mir gar nicht<br />
in den Sinn. Es war Samstag. Bis nächsten Freitag lief die Frist, und ich<br />
beschloss, am Dienstagmorgen Gouda für immer zu verlassen.<br />
Dies alles wirbelte mir durch den Kopf, als ich im schnellen Dieselzug<br />
Richtung Utrecht sauste. Ohne den beklemmenden Stern war ich freier, aber<br />
richtig froh fühlte ich mich noch nicht. Ich dachte, was ich bei einer eventuellen<br />
Kontrolle zu antworten hätte und manchmal zogen Schreckensbilder,<br />
worin es um Verhaftung und dergleichen ging, in meinem Geist vorüber.<br />
Endlich, um 8.30 Uhr, kam ich in Amsterdam an.<br />
Ich ging gleich zur Wohnung Hannemanns, deren Adresse Schoschanna<br />
Litten mir gegeben hatte. Hannemann lag noch im Bett, ließ mich eine<br />
Weile warten und bestellte mich dann auf die J.C.B. (Jüdische Berufszentrale)<br />
21 . Meine Verwandten rissen die Augen auf, als ich danach so „arisch“<br />
bei ihnen zu Besuch kam. Später ging ich zur J.C.B., wo ein reger Besuch<br />
der legalen sowie der illegalen Welt herrschte. Viele Bekannte traf man<br />
wieder, und die Zeit verflog mit viel Geplauder. Auch meinen Freund, Marcel<br />
Leiser, der ebenfalls aus dem Altersheim geflüchtet war, sah ich dort<br />
wieder. Nach endlosem Warten, d. h. bis ca. 14 Uhr, konnte ich endlich mit<br />
Kurt Hannemann reden. Er hatte mich schon aufgegeben, weil ich die ganze<br />
Zeit nichts von mir hatte hören lassen.<br />
Einmal war jemand in Gouda gewesen und hatte die Botschaft hinterlassen,<br />
dass ich nach Amsterdam kommen sollte, hatte aber seltsamerweise<br />
nicht gesagt wohin. Auf jeden Fall wusste Hannemann nicht, wo er mich<br />
unterbringen konnte, noch nicht einmal für die kommende Woche, denn im<br />
Augenblick war enorm viel zu tun. Jeder, der konnte, tauchte unter, und es<br />
waren nicht genug Plätze für alle vorhanden. Ich solle abends um 19 Uhr<br />
nochmals zur J.C.B. kommen, vielleicht dass er dann etwas wüsste. Und als<br />
21<br />
Eines der Ämter, deren Aufgabe die Berufsumschichtung war. In diesem Gebäude hielt die<br />
illegale Führung ihre Sitzungen ab, und dort trafen sich oft die legalen ebenso wie die illegalen<br />
Chalutzím. (Ch.Fl.)<br />
61