Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Hans Chanan Flörsheim - Hassia Judaica
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Sprache heftig mit den Händen gestikulierten. Das waren dann, wie sich<br />
später herausstellte, aus Polen und Russland zugewanderte Juden, die Jiddisch<br />
sprachen.<br />
Auch in unserer Klasse gab es viele Kinder, deren Eltern Ostjuden waren,<br />
wie man sie nannte. Öfters kam es vor, dass der Klassenlehrer eine<br />
Liste der Schüler für die Obrigkeit anfertigen musste, und eine der Fragen<br />
war dann immer wieder die nach der Staatsangehörigkeit der Eltern. Ich war<br />
dann, ebenso wie viele andere Klassenkameraden, nicht wenig stolz darauf,<br />
wenn ich jene Frage mit „deutsch“ beantworten konnte, im Gegensatz zu<br />
den anderen, die dann meistens „staatenlos“ oder „polnisch“ antworteten.<br />
Ein Klassenkamerad, mit dem ich öfters den Nachhauseweg zusammen<br />
machte, „keilte“ mich - wie man es damals nannte -, das heißt, er überredete<br />
mich, einem Jugendbund beizutreten, und so wurde ich Mitglied im Bund<br />
deutsch-jüdischer Jugend 8 . Das war für mich eine sehr schöne Zeit, viele<br />
andere Jungens und Mädels bei Heimabenden zu treffen, Aufführungen zu<br />
veranstalten und gelegentlich „auf Fahrt zu gehen“, das heißt größere Ausflüge<br />
zu machen. Dann war es meistens meine Aufgabe, später einen Fahrtbericht<br />
zu schreiben, und mit dem Vorlesen dieser Epistel erntete ich immer<br />
große Lacherfolge.<br />
Im Jahre 1934 verbrachten wir zwei Wochen zusammen mit anderen<br />
Ortsgruppen aus Deutschland in einem Ferienlager an der Ostsee. Kurz,<br />
dieses Zusammensein gefiel mir dermaßen gut und sollte noch Jahre später<br />
meinen künftigen Lebensweg stark beeinflussen.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt war noch wenig von dem sich nähernden Sturm<br />
zu spüren. Unser Geschäft ging gut, Vater lernte Auto fahren, was ihm und<br />
den anderen Vertretern das mühsame Herumlaufen mit den Musterkoffern<br />
erleichterte. Und so hatten wir an Sonntagen ein Auto zur Verfügung, mit<br />
dem wir Ausflüge in die nähere Umgebung der Stadt machten.<br />
Im Sommer 1935 fuhren wir mit dem Auto in die Sommerferien, dieses<br />
Mal in die Sächsische Schweiz, und bei dieser Gelegenheit machten wir<br />
auch einen Tagesausflug in die benachbarte Stadt Bodenbach in der Tschechoslowakei.<br />
Das war für mich das erste Mal, dass ich im „Ausland“ war.<br />
Heute bin ich nicht ganz sicher, was das wirkliche Ziel dieser Reise war,<br />
denn in Bodenbach trafen wir den Onkel Carl und ich vermute, dass mein Va-<br />
8 Der Bund deutsch-jüdischer Jugend wurde im Dezember 1933 als Zusammenschluss aus<br />
Deutsch-jüdischer Jugendgemeinschaft (DJJG), Liberaler Ili, Jüdischen Jugend- und Kinderscharen<br />
und C.V.- Gruppen als Reaktion auf die Situation der jüdischen Jugendbewegung nach<br />
1933 gegründet. (Ch.Fl.)<br />
28