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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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verstanden werden, wenn man diese Komplizierung der heutigen Welt bedenkt, ist da<br />

noch verwunderlich, wenn auch die Ausdrucksformen der Kunst unbegreifliche Züge<br />

annehmen? Vor hundert oder zweihundert Jahren, als die Welt noch wesentlich<br />

überschaubarer war, konnte ein Dichter noch seine Verse seiner Waschfrau zur<br />

Begutachtung vorlegen – es gibt irgend eine Anekdote dieser Art -; ich glaube nicht, daß<br />

das heute noch Sinn hat, und ich glaube, daß weder die Waschfrauen noch die Dichter<br />

daran schuld sind.<br />

Die Ehrung, die ich heute empfangen durfte, kommt nun freilich nicht von den Hörern<br />

schlechthin, sondern von denen, für die das Hören eine erhöhte, eine zentrale Bedeutung<br />

gewonnen hat. Das erhöht mir auch den Wert dieser Anerkennung. Vielleicht darf ich hier<br />

ein östliches Sprichwort zitieren: Die Ehre ehrt nicht nur den, der geehrt wird, sondern<br />

auch den, der ehrt.<br />

Der Preis, den Sie mir zuerkannt haben, besteht in einer Plastik des kriegsblinden<br />

Bildhauers Jakob Schmitt. Sie stellt zwei Hände mit einer Blume dar und versinnbildlicht<br />

die Tastwelt des Blinden. Mich berührt dieses Geschenk um so mehr, als ich meine, daß<br />

es über das unmittelbar Dargestellte hinaus mancherlei gleichnishaft ausdrückt. Ich will so<br />

sagen: Alles, was eine Form gewonnen hat, wird in höherem Sinne brauchbar, wird<br />

anwendbar auch für Bereiche, an die möglicherweise auch sein Schöpfer nicht gedacht<br />

hat. Ich hoffe, Sie werden es nicht völlig abwegig finden, wenn ich, von dieser Plastik<br />

ausgehend, einige persönliche Gedanken ausspreche, wenn ich Ihnen zu verdeutlichen<br />

suche, was mich zum und beim Schreiben bewegt. Vielleicht ist es auch nur das, was<br />

einen bewegen sollte – ich wage es nicht, zu unterscheiden.<br />

In mancher Hinsicht ist ja der Mensch schlechthin, nicht nur der Blinde, blind. Seine<br />

Sinnesorgane erfassen immer nur einen Teil der Wirklichkeit. Unsere Ohren hören den<br />

Schrei der Fledermäuse nicht und erkennen nicht die Farben Infrarot und Ultraviolett. Der<br />

Mensch ist dabei, sich Ersatzorgane zu schaffen, Radargeräte jeder Art, Meßinstrumente,<br />

die, wie es heißt, genauer und schneller arbeiten als Auge und Ohr. Seine Hybris scheint<br />

überzeugt, daß dieser Entwicklung keine grundsätzlichen Grenzen gesetzt sind. Das mag<br />

sein; indessen hat es den Anschein, als würde der Mensch blinder, je mehr er sieht. Denn<br />

eigentlich kann er sich nur dem nähern, was er liebt, und nur das vermag er wirklich zu<br />

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