Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
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Als ich im Sommer 70 mit den Aufnahmen begann, rechnete ich mit großen<br />
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Schwierigkeiten. Jedoch von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, gab man überall<br />
auf den Straßen, in den Lokalen, Heimen und Wohnungen bereitwillig Antwort auf meine<br />
Frage, wie man sich in unserem Staate fühle, wie man die derzeitige Situation und unsere<br />
Lebensbedingungen beurteile – nachdem ich meinerseits erklärt hatte, was ich mit den<br />
auf Tonband aufgezeichneten Antworten, Aussagen und Meinungen zu tun beabsichtige.<br />
Das allerdings konnte ich damals nur ungenau formulieren. Ich mußte selbst in einer<br />
neuen Arbeitsweise erst Erfahrungen sammeln. Heute habe ich Gelegenheit, in meinem<br />
Bericht den Befragten die ausführliche Erklärung nachzuliefern, die ich ihnen noch immer<br />
schulde. Ich arbeite innerhalb der Institution Rundfunk, die in letzter Zeit in ihren<br />
Hörspielabteilungen teilweise der Forderung Brecht’s nachkommt, “aus dem<br />
Lieferantentum herauszugehen”, und ihren <strong>Autor</strong>en die Möglichkeit gibt, “den Hörer als<br />
Lieferanten zu organisieren” – darum zunächst einmal geht es beim Original-Ton-Hörspiel,<br />
und daraus ergeben sich neue und unmittelbarere Verantwortlichkeiten.<br />
Ich erklärte jedem einzelnen Befragten vor den Aufnahmen zunächst nur Folgendes: es<br />
handle sich vorerst um das Basismaterial für ein Hörspiel; alle waren einverstanden damit,<br />
daß ich aus den besprochenen Bändern diejenigen Passagen, die mir für die Schaffung<br />
eines Gesamtbewußtseins geeignet erschienen, auswählen, diese Passagen kombinieren<br />
und in andere – allerdings nicht beliebige oder verfälschende – Zusammenhänge bringen<br />
würde. Sie alle waren also einverstanden damit, daß ihre individuellen Aussagen Teile<br />
einer überindividuellen Aussage würden. Wie ein solches Gesamtbewußtsein entstehen<br />
könnte, zeigte sich im einzelnen erst während meiner Weiterarbeit.<br />
Nach den Aufnahmen mit Personen aus allen Altersgruppen und allen sozialen Schichten<br />
schrieb ich das gesammelte Material ab; es lag in 25 Bändern mit je einer halben Stunde<br />
Laufzeit vor. – Da ich mich bei meiner weiteren Arbeit ausschließlich vom Material<br />
bestimmen lassen wollte und vorhatte, das Spiel aus Ansätzen zu entwickeln, die ich im<br />
Material vorfinden würde – da ich das geplante Gesamtbewußtsein mit allen wesentlichen<br />
Intentionen der befragten Personen zum Sprechen bringen wollte, war diese Schreibarbeit<br />
nötig. Und nicht nur deshalb: Als ich nämlich zu lesen begann, bemerkte ich zum<br />
erstenmal Sätze, die in besonderem Maße, oft auch gegen den Willen der Sprechenden,<br />
kennzeichnend waren, die mir jedoch während der Gespräche selbst sowie beim Abhören<br />
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