Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
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ob es irgendeine künstlerische Form gäbe, die diesem Gegenstand gerecht würde! Daß<br />
es nämlich ein Material geben könnte, dem gegenüber die Frage der künstlerischen<br />
Konkretion vollkommen irrelevant ist, ist leider nur ganz wenigen aufgefallen, soweit ich<br />
sehen konnte nur Heinrich Böll und der Gräfin Dönhoff. Als ich den Film anläßlich seiner<br />
amerikanischen Premiere vor einem Jahr rezensierte, fand ich gerade die vollkommen<br />
unprätentiöse Form der “soap opera” – die man ja, nebenbei gesagt, als eine moderne<br />
Form des aneinanderreihenden Epos verstehen könnte –,fand ich also diese ärmliche,<br />
simple Form als dem Material am angemessensten. Und, wie sich herausstellte, auch am<br />
wirkungsvollsten.<br />
Nun ereignete sich aber etwas noch Schlimmeres. Zum Zorn der Kritiker interessierte sich<br />
das Volk für diesen Film, es lernte von ihm, obwohl die Kritiker das Volk doch ausdrücklich<br />
vor dem Film gewarnt hatten. Nun kann man bei allem berechtigten Mißtrauen gegen den<br />
Verstand und Geschmack des Volkes in Deutschland als Kritiker das Volk nicht schelten,<br />
wenn es sich auf einmal für Auschwitz interessiert. Das geht nicht. Nun sagte man, und<br />
ich fasse jetzt polemisch zusammen, zu dem Volk: “Es ist ja sehr erfreulich, daß ihr euch<br />
endlich für die Untaten des deutschen Faschismus interessiert, aber es ist ein Zeugnis<br />
eures mangelhaften Kunstverstandes, daß ihr euch ausgerechnet anläßlich dieses Films<br />
für diese Untaten interessiert, also wäre es doch besser, wenn ihr aufhört, euch für diese<br />
Untaten zu interessieren und euer Interesse verschiebt, bis jemand, der uns Kritiker<br />
zufriedenstellt, einen Film gemacht hat; dann kommen wir noch einmal auf die Sache<br />
zurück!”<br />
Ferner schlossen die Kritiker aus der nicht mehr wegzuleugnenden Tatsache, daß das<br />
Volk etwas gelernt hatte, nun messerscharf, daß das Volk, da es etwas gelernt habe, nicht<br />
viel und nur für ganz kurze Zeit lang etwas gelernt habe, da der Film austauschbare<br />
Emotionen freigesetzt habe. Auch lenke die Beschäftigung mit den Untaten des<br />
deutschen Faschismus von der Beschäftigung mit den gegenwärtigen, umgebenden<br />
Untaten ab.<br />
Ich selbst muß dieses letzte Argument entschieden ablehnen. Ohne die frühe<br />
Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus hätte ich nie die Empfindlichkeit zum<br />
Beispiel für die furchterregenden Einschränkungen der Bürgerrechte in diesem Staat<br />
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