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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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Anfang der sechziger Jahre fand ich im Keller ein Militärfunkgerät, das konnte auf der<br />

Mittelwelle senden. Ich beschloß einen Sender aufzumachen. Hilfreich als Antenne erwies<br />

sich ein Baugerüst aus Metall an unserer Hausfassade. Der Sandputz der frühen 50er<br />

Jahre war abgewaschen, jetzt wurde mit Zement verputzt. Ich mischte ein Programm mit<br />

Hottentottenmusik auf Band und als Einlagen zitierte ich François Vilion, ‘Ich bin so wild<br />

nach deinem Erdbeermund’, gerade so, wie ich es mir bei Kinsky abgehört hatte. Anlaß<br />

für die Sendepremiere gab die Party bei einem Freund. Derweil zu Hause das Programm<br />

vom Band lief, meine Stimme im Radio zu hören war, imponierte ich meiner Clique. Das<br />

Programm unterbrach abrupt. Herren von der Post hatten die Sendeanlage konfisziert.<br />

Eine kräftige Tracht Prügel und 500 DM Strafe wegen illegalen Betriebs eines Senders<br />

reichten aus, mich für ein Dutzend Jahre in die Riege der Fernsehzuschauer einzureihen.<br />

Aus dieser Erfahrung lernte ich: Radiowellen breiten sich grenzenlos aus, aber dem<br />

Recht, sie zu erzeugen, waren enge Grenzen gesetzt.<br />

November 1989: Maueröffnung. Herr Dr. Buggert, Hörspielleiter beim HR, arrangiert mir<br />

einen mehrwöchigen Aufenthalt in der DDR, in Leipzig. Wir nennen das Hörspielprojekt:<br />

‘Deutsche Tonfälle an der Wende der 90er Jahre’. Ich reise in ein Land, von dem ich nur<br />

Autobahnen kenne. Ein Land, in dem ich hinter jeder Brücke einen Volkspolizisten<br />

vermute. Mit mir im Auto der Leipziger Dramatiker Ralph Oehme, den ich gerade erst in<br />

einem Ostberliner Café – fast zufällig – kennengelernt hatte. Ralph Oehme kennt DDR-<br />

Land, DDR-Leute und jede hinterhältige Radarkontrolle auf dem Weg nach Leipzig. Wir<br />

wollen das Projekt gemeinsam wagen, gleichberechtigt unsere unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten einbringen: Oehme seine Theatererfahrungen, ich das Handwerkszeug und<br />

viele Jahre Praxis in dokumentarischer Rundfunkarbeit. Ich stehe auf dem Leipziger Karl-<br />

Marx-Platz, nehme die Skandierungen, ‘Deutschland, Deutschland, Deutschland’ auf<br />

Band, fühle mich wie in einem Fußballstadion auf dem Rang der gegnerischen Fans. Mit<br />

denen soll ich mich vereinigen? Mit Oehme ja, das kann ich mir gut vorstellen, aber die da<br />

rufen, sind mir fremd. Es bleibt eine Distanz zwischen denen und mir. Ein Vaterland gab<br />

es für mich nicht, ich hielt mich immer für einen (West-) Berliner. Vaterland, das hatte den<br />

Geruch von Nationalsozialismus. Trotzdem, mich rührten die offenen Arme, die gedeckten<br />

Tische und die Tränen, mit denen sich die beiden Deutschlands begrüßten.<br />

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