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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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Selbstbeobachtung” genannt hat: öffentliche Ernte privater Luxus-Leiden, bedeutendes<br />

Flüstern, traurige Gebärden, auf sich selbst zeigendes Seufzen, Rücktrippeln ins Interieur.<br />

Da waren die Unterhaltungen einiger lateinamerikanischer Diktatoren kein begehrter<br />

Gesprächsstoff. Die Reaktion schwankte zwischen Mitleid und Verachtung. Ein Kritiker<br />

erhob gegen das Buch den Vorwurf, sein Verfasser habe dort weitergeschrieben, wo er<br />

das letzte Mal aufgehört habe: als sei es eine Unverschämtheit, die dazwischenliegenden<br />

Moden, die in Deutschland ja häufiger wechseln als die Parolen in Peking, nicht<br />

mitgemacht zu haben. Ein anderer Kritiker beanstandete das Fehlen jeglicher<br />

künstlerischer “Innovation”, das Buch bringe “nichts Neues”.<br />

Das stimmt. Die Tatsache der Unterdrückung, Folterung und Ermordung der Menschen in<br />

Lateinamerika ist nichts Neues, wie auch Armut und Hunger für die Zeitungen eine<br />

tägliche Nicht-Nachricht sind. Und es stimmt: nicht nur wollte ich nichts Neues bringen,<br />

sondern ich wollte mit dem Stück an das tägliche Vergessen von etwas Altem erinnern.<br />

Und nicht nur wollte ich an das Vergessen von etwas Altem erinnern, ich wollte von dieser<br />

Absicht durch keine Kunststücke ablenken. Man wagt es kaum zu sagen: Aber ich habe<br />

das, was ich geschrieben habe, nicht geschrieben, um etwas “Neues” zu schreiben und<br />

auch nicht auf der Jagd nach einer “künstlerischen Innovation”, sondern weil ich das<br />

Material möglichst vielen Leuten mitteilen wollte.<br />

Jeder, der schreibt, weiß, daß es die Überlegung, ob das Geschriebene “neu” sei, beim<br />

Schreiben nicht geben kann, da man vom Material erfahren muß, wie es darzustellen sei<br />

und woraus es bestehe. Die Beobachtung, daß etwas “neu“ sei, kann vielleicht hinterher<br />

kommen und von Personen, die ein Interesse daran haben, dauernd etwas neuer zu<br />

finden als etwas anderes. Und da finde ich nun, daß das Hauptquartier des “Neuen” das<br />

Warenhaus ist, der Kunsthandel, die Innenarchitektur. Denn was sind eigentlich die<br />

literarischen Kriterien für das Urteil, daß etwas “neu” sei? Doch wohl, daß man es vorher<br />

nicht gekannt zu haben vermeint. Das Urteil hängt also von den gründlichen Kenntnissen<br />

und dem guten Gedächtnis des Urteilenden ab, das heißt, wichtigste Bedingung für das<br />

Urteil, daß etwas neu sei, scheint lediglich ein schlechtes Gedächtnis oder eine<br />

mangelhafte Ausbildung zu sein – Bedingungen, die man hier und dort erfüllt findet. Denn<br />

wirklich ist ja dieser Neuigkeitsfetischismus auch eine Einübung ins Vergessen, wobei die<br />

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