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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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Geschichte dauernd mit einer Tinte geschrieben wird, die, kaum daß sie trocknet,<br />

verschwindet.<br />

Man braucht wohl nicht zu erklären, warum die Anfälligkeit für das Neue, das heißt für<br />

alles, was das, was war, weiter wegrückt – ähnlich übrigens der Anfälligkeit für das Reisen<br />

–,in diesem Land gefährlicher ist als in anderen. Auch durch die Verwendung des<br />

Fremdwortes “Innovation” wird es nicht besser. Die Übersetzung ins Deutsche<br />

“Erneuerung” zeigt uns ein Wort aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Erneuert wurde<br />

in diesem Jahrhundert wohl genug.<br />

Die Gefahr einer Ästhetik des Neuen besteht meiner Ansicht nach in der Fetischisierung<br />

der künstlerischen Mittel. Jedermann weiß, daß es nach Hunderten von Jahren<br />

literarischer Kritik zuverlässige Kriterien für das Urteil, warum etwas gut sei, nicht gibt. Ein<br />

trauriges Lehrbeispiel für die Mißanwendung ästhetischer Kriterien auf ein Material, das<br />

sich als einziges mir bekanntes jeglichem ästhetischen Zugriff versagt, ist die<br />

westdeutsche Rezeption des amerikanischen Fernsehfilms “Holocaust”. Sie werden, was<br />

ich dazu sagen möchte, nicht gern hören, aber es ist für mich so wichtig, daß ich es hier<br />

sagen muß.<br />

Ehe der Film in Westdeutschland ausgestrahlt wurde, schrieben Kritiker, daß es sich nicht<br />

lohne, ihn zu sehen, da es typisch amerikanischer Kitsch sei, eine “soap opera”. Zum<br />

Vergleich wurde wiederholt eine in Amerika selbst kaum bekannte amerikanische<br />

Fernsehserie zitiert, in deren Titel das Wort “Farm” vorkommt und die offenbar nur in<br />

Satellitenländern zur Kenntnis genommen wird von Kritikern, die solche Kost benötigen,<br />

um sich über sie aufregen zu können: ein Camp-Erlebnis, das bei gleichzeitiger<br />

Verachtung des Gegenstandes dessen Genuß gestattet.<br />

Zur Empörung einer Einheitsfront westdeutscher Kritiker war folgendes geschehen:<br />

Amerikaner hatten es gewagt, einen Film über deutsche Vernichtungslager zu drehen,<br />

ohne vorher künstlerische Ausführungsbestimmungen einzuholen. Noch schlimmer, sie<br />

hatten sich um gar keine künstlerischen Regeln gekümmert, um keine Mode. Nach<br />

Ansicht der Kritiker muß die fürchterlichste Barbarei in der Geschichte der Menschheit,<br />

muß gerade dieser Gegenstand künstlerisch ganz besonders gut dargestellt werden. Als<br />

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