Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
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Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich den Preis unter diesen Voraussetzungen in<br />
Bonn nicht persönlich entgegennehmen will.<br />
20. April 1970<br />
Wolf Wondratschek,<br />
März 1970<br />
Meine Damen und Herren. Mittlerweile beruhigt uns ja die fröhliche Gewißheit, daß selbst,<br />
wer unbedingt provozieren will, nicht mehr provozieren kann. Preisverleihungen mit<br />
verordneter Festlichkeit scheinen gerade deshalb bei höheren Instanzen beliebt zu sein,<br />
da ihre absehbare Folgenlosigkeit als Erfolg gebucht und sozusagen gleich mitgefeiert<br />
wird. Daß sich Empfindlichkeiten abnutzen, daß die Wiederholungen der Unzufriedenheit<br />
eine Tendenz zur Zufriedenheit entwickeln, dort oben weiß man es. Vielleicht stehen<br />
schon noch einige Münder offen, wenn einer öffentlich seine äußerste Meinung vom<br />
Podium herunterformuliert. Die anderen aber geben sich amüsiert. Auch das wissen sie:<br />
hier erliegt ein Schriftsteller der Begabung, seine Selbstgefälligkeit auszubeuten. Die<br />
Gewöhnung unseres Publikums an Auftritte hat sich mit der Zeit so sehr stabilisiert, daß<br />
sie dem Angreifer das Wort bereits aus dem Munde applaudiert. Die Freiheit der<br />
Redefreiheit wird um so angenehmer, je besser sich alles neutralisieren läßt zur schönen<br />
und bloßen Selbstbeteuerung. Rhetorische Überraschungen läßt man sich gefallen bei<br />
solchen sanktionierten Reden. Außerdem erwärmt sich unser Publikum mit zynischer<br />
Genugtuung über jenen Paragraphen, der die westdeutsche Meinungsfreiheit regelt, das<br />
heißt reguliert.<br />
Zuweilen habe ich das unheimliche Gefühl, wir hätten uns in einer Art “Heinemann-<br />
Euphorie” ziemlich schnell gebessert. Vor lauter Sympathie werden wir zu Illusionen<br />
überredet. Wir sollen domestiziert werden, weil ja, was beim Vorgänger staatlich aussah,<br />
nun endlich familiärer wirke. Es ist nicht nur eine Tautologie, wenn ich darauf bestehe,<br />
daß ein Festakt in Bonn eben ein Bonner Festakt ist. Außerdem vergleicht sich der Staat<br />
immer dann besonders häufig mit der Familie, wenn diese Unterdrückung funktioniert.<br />
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