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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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Zu Haus auf meinem Schreibtisch steht seit einigen Wochen eine Fotografie der Plastik<br />

des kriegsblinden Bildhauers Jakob Schmitt, die ich nun heute in Empfang nehmen darf.<br />

In einer kühnen, eigenwilligen Gestaltung stellt sie den Kopf eines lauschenden, eines<br />

hörenden Menschen dar, der, die Hand an der Ohrmuschel, einen Klang, einen Ton,<br />

einen fernen Ruf erwartet. Diese schöne ... nein, ich muß sagen, diese erschütternde<br />

Bezüglichkeit, mit der hier ein kriegsblinder Künstler nicht nur ein Bildnis des Hörers am<br />

Rundfunk, sondern überhaupt ein Bild des Menschen unserer Gegenwart formte, ist für<br />

mich bestürzend und zugleich eine Mahnung. Denn erwarten wir nicht alle einen Ruf, eine<br />

tröstende Botschaft von irgendwoher? Und haben wir nicht alle schon in erschreckendem<br />

Maße die Fähigkeit des Hörens, des Zuhörenkönnens verloren? Nicht nur als<br />

Rundfunkhörer, auch im persönlichen Gespräch, in der Diskussion, in der<br />

Auseinandersetzung? Wer hört noch den anderen, den Nächsten? Seine Not, sein Leid,<br />

seinen Hilferuf? Wo ist noch die stille, die zugeneigte Kunst des Hörens? Alles überschreit<br />

sich, die größte Stimmentfaltung siegt, die Pauke überdröhnt das Glissando der Geigen.<br />

Weiß Gott, unsere Zeit mit ihren unbarmherzigen merkantilen Forderungen, dem<br />

substanzraubenden Existenzkampf, der kein Ausruhen mehr zuläßt, dem täglichen<br />

Bombardement von Richtungsweisern, Schlagzeilen, Losungen, dem großen Tam-Tam<br />

der Reklame, mit denen unser Trommelfell, zumindest in den Großstädten, unaufhörlich<br />

strapaziert wird – diese Zeit ist im Begriff, aus unseren Ohren bald nur noch auf grobe<br />

Reize reagierende Lautstärken-Empfänger zu machen. Und lassen Sie mich bitte auch<br />

das aussprechen, auch wenn es aus dem Mund gerade eines Rundfunkmannes<br />

ketzerisch klingt: birgt nicht auch die mechanische Apparatur des Radios die Gefahr, daß<br />

die Menschen eines Tages immer mehr die Fähigkeit des Hörens, ich meine jetzt die<br />

Wahrnehmung differenzierter Töne, verlieren? Das gilt für das gesprochene Wort wie für<br />

die Musik.<br />

Ich besuchte neulich am Berliner Stadtrand eine kleine Wohnsiedlung. Zwanzig oder<br />

dreißig Wohnungen dicht an dicht, und in jeder ein Lautsprecher. Pausenlos ertönten<br />

Nachrichten, Kammermusik, Hörbilder, Tanzweisen. Daneben die Hausfrauen bei der<br />

Arbeit, Menschen, die durchaus kein Stimulans nötig hatten, die nichts in sich zu<br />

“übertönen” brauchten. Sie verlernen aber das Hören, und erst recht verlernen es die<br />

Kinder, denen es tagein, tagaus um die Ohren rauscht, Beethovens Klavierkonzerte,<br />

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