Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
http://www.mediaculture-online.de<br />
Etwas neueren Datums freilich scheinen mir zwei Phänomene zu sein. Einmal die<br />
zunehmende Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen der Überdruß des Publikums diesen<br />
uferlosen Experimenten gegenüber. Selbstredend verfügt die Bühne heute über eine<br />
Mannigfaltigkeit der Formen und einen Reichtum an Möglichkeiten wie nie; nur sind<br />
fatalerweise diese Möglichkeiten fast durchweg zugleich auch Unmöglichkeiten, schon<br />
allein deshalb, weil sie jeden der irgendeine von ihnen ergreift, erbarmungslos zum<br />
Epigonen degradieren, da ja leider alles was immer man machen kann, bereits heute früh<br />
oder gestern und günstigstenfalls vorgestern schon von jemandem gemacht worden ist.<br />
Und außerdem kann man, wie ich fürchte, auch der Mannigfaltigkeit überdrüssig werden<br />
und mit flüchtigen Tagesreizen bis zum Gähnen überfüttert sein. Der Avantgardismus war<br />
elektrisierend, solange er originell und neu war und uns erschreckte. Inzwischen aber sind<br />
wir reichlich abgebrüht. Ich wage nicht, mir auszumalen, welche saloppen Scherze man<br />
sich in zehn oder zwanzig Jahren wird ausdenken müssen, um das Publikum noch ein<br />
wenig zu frappieren. Man darf in dieser Hinsicht so ziemlich auf alles gefaßt sein, existiert<br />
doch schon seit einiger Zeit ein Theaterstück des verehrten Meisters Picasso, in welchem<br />
– ich erzähle da keineswegs eine boshaft erfundene Anekdote, sondern referiere über<br />
eine Tatsache – in welchem Stück neben anderen neckischen Kleinigkeiten nicht nur der<br />
Auftritt einer Dirne in ihrem göttlichen Urzustand vorgeschrieben ist, sondern besagter<br />
Dame auch noch die Auflage gemacht wird, daß von ihr auf offener Bühne und auf die<br />
ihm zukommende Weise ein Nachtgeschirr zu bedienen sei... Natürlich sind solche Dinge<br />
bereits die Folge der Langeweile des Publikums; doch mag man bezweifeln, ob auf diesen<br />
Wegen das Experimentierfeld Bühne der Langweiligkeit nachhaltig entrissen wird.<br />
Das zweite Phänomen, von dem ich andeutend sprach, betrifft die andere, seriösere Seite<br />
unseres Theaters, jene nämlich, auf der es die Funktionen eines Museums erfüllt. Hier<br />
wird unsere abendländische Klassik sorgsam gepflegt und abgestaubt. Um noch einmal<br />
mit Dürrenmatt zu reden: “Hier ist der Beifall gewiß, ja Pflicht des Gebildeten, und man ist<br />
auf legitime Weise der Nötigung enthoben, nachzudenken und ein anderes Urteil zu fällen<br />
als das die Schule uns eingepaukt hat“. Jedoch scheint mir selbst auf diesem durch die<br />
geheiligte Konvention beschirmten Terrain die Sicherheit mählich in die Binsen zu gehen.<br />
Einmal nämlich verspricht der Inszenierungs- und Aufführungsstil der klassischen Werke<br />
zunehmend zu einem Problem zu werden, das sich eines Tages bis zur Unlösbarkeit<br />
24