Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
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Mai 68 war: die Phantasie an die Macht! Es ist ihr nicht gelungen. Aber meine Phantasie<br />
war geweckt worden. Zu schreiben begann ich durch einen Zufall.<br />
Dieses Hörspiel, das Sie heute hier auszeichnen, habe ich 1972 geschrieben, und es ist<br />
meine erste Arbeit als <strong>Autor</strong> überhaupt. Damals, als ich es schrieb, habe ich nicht<br />
gedacht, daß es so schnell alltägliche Realität werden würde. In der Pressemitteilung<br />
heißt es: “nur die Geschichte des Schauspielers, der für die Medienöffentlichkeit einen<br />
Minister darstellt, (ist) Fiktion”. Ich behaupte, nicht einmal mehr das.<br />
Die sogenannte Ölkrise und die Weltwirtschaftskrise haben gezeigt, daß die Politiker<br />
hilflos und ohnmächtig gegenüber den übermächtigen Interessen der Konzerne sind.<br />
Aber, anstatt uns über ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht aufzuklären, inszenieren sie Tag<br />
für Tag ein gigantisches Staatstheater-Spektakel, häufen Halb-Wahrheit auf Halb-<br />
Wahrheit und ersetzen wahrhaftige Information durch Augenwischerei. Und damit sie<br />
weiter die Hauptrolle spielen dürfen, zahlen sie jeden Preis. Notstandsgesetze,<br />
Vorbeugehaft, Isolationszellen, militärische Bewaffnung der Polizei, schießwütige<br />
Sondertruppen, Berufsverbot und § 88 a.<br />
Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Lattman hat in seiner Bundestagsrede<br />
gegen den § 88 a, für den er dann bei der Abstimmung als verinnenlichtem<br />
Fraktionszwang doch votierte, behauptet: weniges bewege die Menschen in der<br />
Bundesrepublik dringender als der Terrorismus und die Auswirkungen in unserem Land.<br />
Das glaube ich nicht. Ich glaube, in unserem Land bewegt die Menschen die<br />
Arbeitslosigkeit, das Steigen der Mieten und Preise und das Sinken der Löhne. Ich<br />
glaube, in diesem Land bewegt die jungen Menschen, wie sie einen Studienplatz<br />
bekommen können, oder eine Lehrstelle. Ich bin mir aber nicht sicher.<br />
Als ich vor zwei Jahren mit Freunden in einem Auto durch Südfrankreich fuhr, rief eine der<br />
Insassinnen plötzlich aus: “Schaut mal, ein Baum, wie aus einem Renoir-Film!” Es würde<br />
ihr niemals einfallen im Kino zu rufen: “Schaut, ein Baum, wie in der Provence!” Meine<br />
Erfahrungen waren vermittelte. Zurechtgerückt, eingeordnet, geglättet und gefiltert,<br />
zensiert und ideologisch kommentiert. Ich kannte nicht die Realität, sondern hatte viele<br />
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