Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
PETER HIRCHE<br />
26. April 1966<br />
http://www.mediaculture-online.de<br />
Die Frage, ob das Hörspiel zur Literatur und damit zur Kunst gehöre, ist deshalb nicht zu<br />
beantworten, weil darüber, was Literatur ist, sehr verschiedene Ansichten bestehen. Die<br />
einen halten nur das, was sie selber schreiben, für Literatur; die anderen nur Werke, die<br />
mindestens 50 Jahre alt sind; und die dritten lassen lediglich gelten, was aus Frankreich<br />
kommt.<br />
Die Einstellung, erst einmal abzuwarten, scheint dabei die vernünftigste, allerdings unter<br />
der Voraussetzung, daß man das, was heute geschrieben wird, pfleglich behandelt, weil ja<br />
sonst in 50 oder 100 Jahren gar nichts da wäre, was man kritisch einordnen könnte.<br />
In diesem Sinne werde ich in meiner Rede verfahren: Noch ist nichts entschieden, setze<br />
ich voraus; aber vorläufig einmal, der Einfachheit halber und meinetwegen: in<br />
Anführungsstrichen werde ich das Hörspiel eine Kunstform nennen und einzelne<br />
Hörspiele Kunstwerke.<br />
Derartig als Thema einer Rede ernstgenommen, läßt sich von der Kunstform Hörspiel<br />
behaupten, sie sei eminent demokratisch. Das Theater, nicht wahr, ist aristokratischer<br />
Natur: es findet für wenige statt, es kostet Eintritt, für die besseren Plätze erheblich mehr;<br />
es umgibt sich mit einer gewissen Feierlichkeit, es findet buchstäblich und übertragen auf<br />
einer erhöhten Ebene statt: Niemand unter den Zuschauern ist so schön und merkwürdig<br />
wie Kleopatra, so unglücklich wie König Lear, so komisch wie Falstaff. Und übrigens kann<br />
auch niemand so gut jonglieren wie Rastelli oder ist so kühn wie die Drei Conodas.<br />
Ganz anders das Hörspiel. Jeder kann es hören, ohne besondere Unkosten, es kommt ins<br />
Haus; es umgibt sich mit keinem Gepränge, es verleiht kein Prestige: Man muß Hörspiele<br />
nicht hören, um mitreden zu können, es nimmt nicht viel Zeit in Anspruch: Man kann<br />
Strümpfe dabei stopfen; man hat die Wahl zwischen sehr verschiedenen Hörspielen, und<br />
man erlebt einen natürlichen Wettbewerb unter diesen. Unzählige können zuhören, aber<br />
angesprochen wird der einzelne. Das alles sind die äußeren Modalitäten, die das Hörspiel<br />
demokratisch erscheinen lassen.<br />
55