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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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seine Arbeit fertigzumachen, auszuführen und zu Ende zu bringen. Der künstlerische<br />

Prozeß will in einem abgeschlossenen Werk zur Ruhe kommen, während die Wirklichkeit,<br />

sich unablässig wandelnd, weiter fließt. Läuft also die künstlerische Arbeit auf<br />

Wirklichkeitsverleugnung hinaus, den schönen Kurzschluß, die Lüge des letzten Satzes?<br />

Mühelos entgeht man diesem Problem, wenn man, wie heute üblich, alle Beziehungen<br />

leugnet und Kunst und Wirklichkeit als zwei völlig getrennte Bereiche versteht. Dann<br />

können die schönen artistischen Gebilde unbehelligt, ungestört ihrer inneren Logik folgen<br />

und vollendet werden. Dann allerdings wird der Künstler zum technischen Fachmann, das<br />

Schreiben zum Handwerk, nur formale Probleme stehen auf dem Spiel. Wenn aber das<br />

Schreiben noch verstanden wird als ein personales Verhalten in und zur Welt, dann wird<br />

es schwierig, zu Ende zu kommen, sich in einem Schlußsatz zu sammeln, dann nämlich<br />

gehen alle Begrenztheiten, Widersprüche, alle Schwächen und Ratlosigkeiten mit in den<br />

Vorgang ein. Wenn das Schreiben noch ein Akt der Erkenntnis ist, dann wird einem oft<br />

dabei deutlich, daß man kaum noch die Hand vor den Augen sieht. Wer sich auf die<br />

Wirklichkeit einläßt, kann schwer zu einem harmonischen Ende kommen, ihm zerrinnt<br />

immer wieder der letzte Satz. Er geht das Risiko ein, sich in unaufhörlicher Dialektik zu<br />

verlieren und nicht mehr zu wissen, wer er ist.<br />

Damit also muß er rechnen, und wenn er sich doch behauptet, wenn er den Prozeß<br />

schließlich in eine Entscheidung treibt, in die Konzentration des letzten Satzes, dann weiß<br />

er, daß es ablösbare, praktikable, in Trostbüchlein abzukelternde Schlußsätze gar nicht<br />

gibt, sondern daß sein letzter Satz verstanden werden muß im Bewußtsein des<br />

widersprüchlichen und gefährlichen Weges zu ihm hin. Nur so und nur dann stimmt er.<br />

Wir wollen nichts verallgemeinern. Letzte Sätze sind keine Ruhekissen, sondern immer<br />

wieder bedrohte Positionen. Sie haben, indem Sie mir den Preis zusprachen, ein Risiko<br />

honoriert. Ich danke Ihnen.<br />

WOLFGANG WEYRAUCH<br />

16. April 1962<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke für diesen Preis.<br />

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