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Autor: Tilmann P - Schorsch Kamerun

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kennen wir also die faktische Wahrheit über den Beginn unserer Beziehung und wenn wir<br />

nun historisch bedeutsame Persönlichkeiten wären, müssten unschuldige Kinder dieses<br />

Datum vielleicht eines Tages auswendig lernen, wir hätten einen weiteren Staatsfeiertag<br />

und womöglich müssten dann noch weitere Reden gehalten werden.<br />

Natürlich sagt ein Datum, eine Jahreszahl, recht wenig über Wesen und Bedeutung eines<br />

Ereignisses aus: dennoch wir alle kennen das Gefühl, auf dem Zeitstrahl der<br />

Lebensgeschichte bestimmte Ereignisse präzise markieren zu wollen. Warum aber<br />

mussten wir beide dann diesen für unser Leben so wichtigen Tag erst mühsam<br />

rekonstruieren? Warum hat er sich nicht gleich unserem Gedächtnis eingeprägt und war<br />

jederzeit abrufbar? Die Antwort ist einfach: Wir wussten an dem besagten Tag nicht, dass<br />

er für uns so wichtig werden würde. Deshalb konnten wir uns nicht daran erinnern. Es war<br />

eben seinerzeit ein Tag und eine Begegnung wie viele andere. Ein Tag, der – wie es Ernst<br />

Bloch einmal ausgedrückt hat – die “Blindheit des gelebten Augenblicks” bezeugt. Vieles<br />

von dem, was wir erleben ist ja banal und erhält – wenn überhaupt – seine Bedeutung<br />

erst, indem wir dem Geschehen nachträglich Bedeutung zuschreiben. Das heisst, dass<br />

sich aus der Unzahl der gelebten Augenblicke nur eine kleine Auswahl zur Erinnerung<br />

verdichtet. Eine Auswahl, die stets wechselt und zudem immer neuen Interpretationen<br />

unterworfen ist. Wie können wir aber dann unserer – und problematischer noch – der<br />

Erinnerung anderer vertrauen, wenn Erinnerung in gewisser Weise einem Drehbuch<br />

gleicht, das aus immer anderen Blickwinkeln und in immer neuen Szenenfolgen die<br />

durchlebte Wirklichkeit abbildet. Mit anderen Worten: Ist die Erinnerung nicht ein völlig<br />

untaugliches Instrument zur Ermittlung der Wahrheit, weil sie ihrem Wesen nach nicht<br />

objektiv sein kann, also sozusagen korrumpiert ist von unserem notgedrungen subjektiven<br />

Wahrnehmungsinteresse? Ein Umstand, der dem Psychologen, dem Juristen oder dem<br />

Historiker in sehr unterschiedlicher Weise zu schaffen macht.<br />

Vor wenigen Wochen fand in Dresden eine Veranstaltung statt, auf der der Historiker<br />

Helmut Schnatz ein Buch vorstellte, in dem er mit Hilfe deutscher und alliierter Quellen<br />

nachwies, dass Augenzeugenberichte nicht zutreffen können, die von Tieffliegerangriffen<br />

auf Menschen nach dem Bombardement vom 13. Februar berichten. Der Historiker sah<br />

sich bei dieser Veranstaltung von einem Zeitzeugen bestätigt, war aber heftigsten<br />

Angriffen anderer Zeitzeugen ausgesetzt, die diese Tieffliegerangriffe unter Tränen<br />

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