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Man sollte meinen, daß ein solcher Anschluß an Nachbarreiche und ein reger<br />
Verkehr mit ihnen erwünscht sein müßte. Sicher ist, daß die Einbeziehung<br />
solcher Perspektiven den Karteninhalt bereichern würde. Nach dem uns vorliegenden<br />
Material verhalten sich hier Jungen und Mädchen verschieden. Die<br />
stärkste Isolierung ist gegeben, wenn das ganze Reich aus einer Insel besteht,<br />
auf der keine anderen Reiche mehr zu finden sind. Solche Inselreiche bevorzugen<br />
bei den Jungen des sechsten Schuljahres 66,7 Prozent, also zwei Drittel,<br />
bei denen des siebenten 52,5 Prozent, bei denen des achten Schuljahres<br />
50 Prozent. Während hier also die Entwicklung dahingeht, daß die Planung<br />
einen größeren Raum als nur den eigenen überschaut, ist es bei den Mädchen<br />
umgekehrt. Hier lauten die entsprechenden Zahlen 76,9 Prozent (sechstes<br />
Schuljahr), 81,4 Prozent (siebentes Schuljahr), 88,3 Prozent (achtes Schuljahr)!<br />
Diese auffallende Bevorzugung der Insellage bei den Mädchen, die<br />
nach dem achten Schuljahr hin so stark zunimmt, ist zweifellos entwicklungspsychologisch<br />
begründet. Die Mädchen, die sich in der ersten Phase der<br />
Reifezeit befinden und die Tendenz zeigen, sich in einer Periode der allgemeinen<br />
Desorientierung gegenüber den Wertsetzungen von Schule und<br />
Elternhaus kontaktscheu auf sich selbst zurückzuziehen, um auf der Grundlage<br />
kritischer Selbsterkenntnis zur Selbstgestaltung (Kroh) zu kommen,<br />
stellen mit ihrem Inselreich häufig eine Flucht in die ungestörte Robinsonade<br />
dar, in ein Land, wo man sein kann, wie man sein möchte: fröhlich, unbekümmert,<br />
ungestört und sicher, auch noch einmal märchenselig, ohne ausgelacht<br />
zu werden; das zeigen schon die Namen, die man diesen Reichen gibt:<br />
Schlaraffenland, Traumland, Glücksland, Wunschland, Adelland, Sonnenland,<br />
Honigreich, Paradies, Blumenland, Rosenland, Freudenreich, Rauschland,<br />
Sorgenfrei, Schönland, Friedensburg. Bei den Jungen geht die Phantasie<br />
in andere Richtung, sie wenden sich stärker einer konkret möglichen Gestaltung<br />
zu, selbst ein „Normalland“ ist hier zu finden, ein Einfall, den schon<br />
Grillparzer gehabt hat. 5 Überhaupt können die Namen manche Aufschlüsse<br />
geben; sie machen nicht nur die Sprachkraft des Kindes im allgemeinen<br />
erkennbar, sondern auch die kindliche Auffassung von der Entstehung solcher<br />
Namen. So kann man bei den kindlichen Phantasielandkarten Namen<br />
geschichtlichen und geographischen Ursprungs finden wie bei den wirklichen<br />
Ländern auch. Zu den geschichtlichen Namen zählen wir Goetheruh, Wotanstadt,<br />
Klaus-Störtebecker-Insel, Barbarossafluß, Widukindland, Neu-Kiel,<br />
5 Grillparzer schreibt in seinen „abgerissenen Ideen zu einer Tragikomödie Prokrustes“:<br />
„Prokrustes, König des Normallandes (er nennt sich selbst den Normalkönig)…“ (Sämtliche<br />
Werke, hrsg. von Moritz Necker, XI, 131.)<br />
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