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Im Gegensatz zu Reisephilosophien, die die Eigenaktivität des Reisenden<br />

betonen, und beim Abreisen, Verfremden, Abstandnehmen das Vorausgehen<br />

einer bewussten Entscheidung des Reisenden annehmen, stellen Virilio/<br />

Lotringer diese Eigenaktivität des Reisenden als Voraussetzung der Reise in<br />

Frage. Während man früher noch abreisen musste um anzukommen, so ihre<br />

These, kommen die Dinge jetzt auf einen zu, ohne dass man abreist (vgl.<br />

Virilio/Lotringer 1984: 70). Demnach geht es heute darum, mit dem Auf-uns-<br />

Zukommen der Dinge einen Umgang zu finden. Wenn wir den Prozess, der<br />

dadurch in Gang gesetzt wird, dass etwas auf uns zukommt, das Staunen,<br />

Stutzen oder Wundern, Ratlosigkeit, Verwirrung oder gar Ausweglosigkeit in<br />

uns auslöst und den Fluss des Selbstverständlichen durchbricht, als Reisen<br />

bezeichnen, wird deutlich, dass in diesem Sinne die Reise zum Sinnbild der<br />

Erfahrung oder Durchquerung der Welt wird. Auf die Möglichkeit der Übertragung<br />

des Prinzips Reisen auf die Erfahrung an sich weist auch Heinrichs<br />

hin. Da sich Erfahrungen aus Bildern und Vor-Bildern zusammensetzten, aus<br />

Wegen, Bewegungen und Umkreisungen wunschbesetzter Orte, kann man<br />

Heinrichs zufolge die Erfahrung als Reisen an sich bezeichnen (vgl. 1997:<br />

215). Reisen ist auch nach Leed „die paradigmatische Erfahrung an sich, der<br />

Inbegriff eines unmittelbaren und echten Erlebnisses, das die betreffende Person<br />

zutiefst verändert“ (Leed 1993: 19).<br />

Dass Reisen und Erfahrung eng verwandt sind, zeigt u. a. die Etymologie.<br />

Mit den Partizipien „bewandert und „erfahren“ wird jemand bezeichnet, der<br />

etwas aus eigener Erfahrung kennt bzw. auf einem Gebiet umfassend gebildet<br />

ist. Im Wort Erfahrung scheint das Wort „Fahrt“ als älteste Umschreibung<br />

des Reisens auf (vgl. zur Etymologie Hlavin-Schulze1998: 13–15; Leed<br />

1993: 19f). Dies erinnert auch an die Symbolik der Lebensreise: „Das Leben<br />

ist eine Irrfahrt zum Selbst. Wissen wir, wer wir sind? Auf unserem Lebensweg<br />

zur Wahrheit und Weisheit brechen wir eigentlich zu unserer Selbstentdeckung<br />

auf. Während das Ziel im Schatten bleibt, müssen wir unserem<br />

Schicksal – wie katastrophal es auch immer sei – einen Sinn verleihen, mit<br />

der Liebe, mit der Gelassenheit und durch die Entdeckung des eigenen<br />

Selbst“ (Bianchi 1997b: 63). Die thematische Verbindung zwischen Reisen<br />

und der Suche wurde immer wieder literarisch verarbeitet und tradiert und<br />

erinnert z. B. an die Irrfahrten eines Odysseus, an die Schiffe des Fliegenden<br />

Holländers, die steuerlose Todesbarke von Kafkas „Jäger Grachus“ sowie<br />

Rimbauds „Bateau ivre“, die ins Unendliche treiben (vgl. Frank 1979).<br />

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