Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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Ä U S S E R L I C H K E I T E N<br />
Den Dreck der Jahrhunderte von alten Kellertreppen zu schaufeln<br />
ist eine anstrengende und schmutzige Arbeit. Kriecht man<br />
auf dem Bauch in ein verschüttetes Gewölbe, ist dies eine<br />
Härteprüfung für die Lumpen, die einen vor dem Erfrieren<br />
retten. Kurz: Die Kleidung eines Schrotters muss zweckmäßig<br />
und daher widerstandsfähig sein. Lederflicken auf Knien und<br />
Ellbogen, verstärkt durch Bleche oder Niete, sind ein Muss,<br />
wenn man sich durch die urvölkischen Erdschichten wühlt. Ist<br />
man alleine im Ödland unterwegs, sollte man nicht auffallen:<br />
Graue und meist dunkle Lumpenüberwürfe schützen davor,<br />
von Kannibalen und anderen gefährlichen Gestalten frühzeitig<br />
entdeckt zu werden. Wer diese Lektion nicht beherzigt,<br />
ist nicht lange Schrotter, dafür aber länger tot. Die Africaner<br />
sind eine Ausnahme: Sie reisen in der Gruppe und sind nicht<br />
wie ein Einzelgänger gefährdet. In ihren farbenfrohen Tuchen<br />
spiegelt sich ihre Individualität; <strong>mit</strong> der Kleidung ver<strong>mit</strong>teln<br />
sie ihre Einstellungen und Launen, aber auch ihre Herkunft,<br />
kodiert in Mustern und Farben.<br />
Im rauen Klima Europas müssen die Schrotter Mund- und<br />
Augenschutz tragen, denn gerade im nördlichen Borca ist der<br />
Staub allgegenwärtig. Gasmasken, Flieger- oder Schweißerbrillen<br />
werden allerorten aus den Ruinen geborgen. <strong>Das</strong> Urvolk<br />
hat für seine Nachfahren vorgesorgt.<br />
R E S S O U R C E N K N A P P H E I T<br />
Die Africaner waren schneller als die Europäer. Die großen<br />
frankischen Städte waren bald geplündert, die Industrieanlagen<br />
verrichteten bereits in Tripol oder auf Bedain ihre Dienste.<br />
Man wandte sich Purgare zu. Schon bald donnerte man in<br />
Konvois über die brüchigen Straßen von Neapel nach Rom, zur<br />
Rechten den Liri, vorbei an Ceccano und Colleferro und zahllosen<br />
Dörfern. Dutzende Schrotter hingen an den dröhnenden<br />
Drangpanzern wie Insekten auf fauligem Fleisch, warteten<br />
nur darauf, sich auf etwas Besseres zu stürzen. Die Moral war<br />
exzellent, denn sie hatten ein gemeinsames Ziel, auf das sich<br />
hinzuarbeiten lohnte. <strong>Das</strong> ewig unterdrückte Africa hatte seine<br />
Fesseln gesprengt und arbeitete sich auf dem Kadaver Europas<br />
an die Spitze der Kulturen. Und jeder wollte dabei sein.<br />
C H R O N I S T E N<br />
Was den Africanern die Neolibyer in Tripol und Bedain waren,<br />
sollten in Europa den Schrottern die Chronisten werden. Der<br />
technophile Kult schwärmte von Borca aus nach Franka und<br />
Purgare und schielte gierig auf die Relikte. Schrotter wurden<br />
aufmerksam, karrten ihre Funde zu den einsilbigen Fremden,<br />
die ihnen dafür Informationen über alte Lager boten. Später<br />
etablierten die Chronisten das Wechselsystem, die einzige und<br />
erste stabile Währung seit dem Untergang. Als hätte jemand in<br />
einem Nest gestochert, strömten Tausende neuer Schrotter aus<br />
den Siedlungen in die Ruinenfelder, im Hinterkopf der Gedanke,<br />
dass die Africaner schneller sein könnten.<br />
Der Ausverkauf hatte begonnen.<br />
E I N S A M K E I T U N D<br />
G E S E L L S C H A F T S F L U C H T<br />
<strong>Das</strong> Schrottertum ist in Europa ein Massenphänomen. <strong>Das</strong><br />
Leben in der Gemeinschaft ist schwierig – kleine Gruppen<br />
sind der Willkür größerer Banden ausgesetzt, wohingegen<br />
man in den mächtigen Stadtstaaten wie Justitian seine Freiheit<br />
einbüßt. Als Einzelner ist man zwar schwach, aber kann<br />
leichter fliehen und untertauchen. Man muss sich keine Sorgen<br />
machen, geliebte Menschen zurückzulassen, um sein Leben zu<br />
retten. Gelebter Egoismus als Selbstschutz macht den europäischen<br />
Schrotter aus.<br />
Tage- und wochenlang ziehen sie allein durch die Ruinen,<br />
versunken in der Betrachtung der verfallenen Bauten. Wer<br />
mochte hier gelebt haben? Was waren seine Sorgen, was<br />
erfreute ihn? Eine Antwort bleiben die uralten Städte den<br />
Schrottern schuldig, verstärken gar den Eindruck der Einsamkeit.<br />
Die meisten Schrotter sind dem gewachsen, machen<br />
unbeeindruckt weiter, wie jeden Tag. Doch einige können ihre<br />
soziale Natur nicht verleugnen und wählen einen Hund als Gefährten.<br />
Andere reden <strong>mit</strong> sich selbst oder den halbverwehten<br />
Gebeinen, auf die sie immer wieder stoßen.<br />
Wenn sie in die Zivilisation zurückkehren, dann nur um<br />
ihren gesammelten Schrott abzuladen, die Nahrungsreserven<br />
und Medikamente aufzustocken und sich im Kreise apokalyptischer<br />
Professioneller körperlicher Befriedigung hinzugeben.<br />
P L A N V O L L E S V O R G E H E N<br />
Schrotter sind keine Elstern, die sich auf alles stürzen, was glitzert.<br />
Sie gehen planvoll vor: Sie stecken ein vielversprechendes<br />
Gebiet ab, durchwühlen es und gehen dann zum nächsten<br />
über. Haben sie von einem Auftraggeber eine Vorgabe, wie<br />
den Motor einer Pumpe, einen Schraubenschlüssel oder ein<br />
Kugellager, so machen sie sich auf die Suche nach den Ruinen<br />
einer Werkstatt oder Tankstelle. Sollen sie Waffen herbeischaffen,<br />
suchen sie in Einkaufsstraßen nach Sportläden und<br />
durchkämmen die Wälder nach alten Schießständen. Äxte und<br />
Stemmeisen finden sich manchmal noch in den Trümmern<br />
von Baumärkten oder Feuerwachen.<br />
Wären Schrotter nicht solche abgerissenen und verschrobenen<br />
Gestalten, sie gälten als Kundige der Vorzeit, als Archäologen.<br />
S T Ä R K E I N D E R<br />
G E M E I N S C H A F T<br />
Anders die Africaner: Für sie ist es eine Ehre, im Namen ihres<br />
Dorfes, ihrer Sippe oder auch ihrer Kultur auszuziehen, um<br />
deren Wohlstand zu mehren. Die Geißler mögen sie wie Dreck<br />
behandeln und für die Neolibyer sind sie Bauern in einem Spiel<br />
um Reichtum und Macht, doch sie sind bereit dies in Kauf zu<br />
nehmen. Sie wissen um ihre Bedeutung. Africanische Schrotter<br />
sind Idealisten.<br />
Während der Expeditionen steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt.<br />
Sie ist gleichermaßen Familie wie auch ein aus der<br />
Heimat in die unwirtlichen Gefilde Europas hinübergerettetes<br />
Stück Kultur. Abends nach einem harten Tag im Staub lacht<br />
und feiert man <strong>mit</strong>einander, redet über das Heimweh und