Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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164<br />
den psychovoren Samen hingibt. Vielleicht erst nach Jahren.<br />
Dann aber sind die Stimmen lasziv und verheißungsvoll. Sie<br />
verlangen, dass der Schamane sich immer tiefer in die Psychovoren<br />
vorwagt, sich von den Pflanzen umfangen lässt.<br />
Nicht alle Anubier gehen darauf ein. Sie reduzieren den<br />
Konsum der Samen und sind dem africanischen Volk ein treuer<br />
Diener, konzentrieren sich auf ihre Arbeit als Heiler oder<br />
Zeremonienmeister. Diese Anubier werden nie den vierten<br />
Kreis durchbrechen. Die verbotene Stadt Kairo werden sie nie<br />
betreten dürfen. Diejenigen jedoch, die den Stimmen folgen,<br />
verlieren die Bindung zu den Menschen in den Dörfern. Sie<br />
sind erfüllt von einem inneren Drang nach Perfektion, sowohl<br />
geistiger als auch körperlicher Natur.<br />
A N A N S I - S P I N N E N<br />
Rote Schemen huschen ungesehen über den Sand der Steppe<br />
oder tauchen zwischen den wogenden Grasmeeren Anubiens<br />
unter: Die roten Anansi-Spinnen, haarlos und groß wie eine<br />
Faust, sind die Gefährten der Anubier, von Anubis selbst der<br />
Welle aufgeprägt. Die Arachniden werden als Trickster-Wesen<br />
<strong>mit</strong> eigenem Willen gesehen; sie zu überzeugen, einen Körper<br />
einzuspinnen und für die Ewigkeit zu konservieren, erfordert<br />
einen starken Geist und eine enge Bindung zu Anubis. Eine<br />
Fähigkeit, die für einen Totenführer absolute Voraussetzung<br />
ist.<br />
D A S E R B E<br />
Nirgends ist er reiner, nirgends wurde er so gehütet wie bei den<br />
Anubiern: Der Lebensstrang, jene verschlungene Kette, einst<br />
von Anubis in die Uralten gegeben, von Generation zu Generation<br />
weitergereicht, vermischt und verändert. <strong>Das</strong> Potenzial,<br />
das einst dem Strang innewohnte, ist nur noch schwach in den<br />
Anubiern – doch es ist da, und es brodelt unter der Oberfläche.<br />
Einzelne Sequenzen nur müssten ausgetauscht werden, um einen<br />
Kultisten in ein Gefäß des reinen Kas und da<strong>mit</strong> der Seele<br />
Anubis zu verwandeln. Gelungen ist dies noch nie. Glaubt<br />
man den Hogon, so wird es eines Tages möglich sein, <strong>mit</strong> den<br />
Psychovoren die falschen Sequenzen zu markieren und herauszulösen.<br />
Nur die alten Riten um den anubischen Lebensstrang<br />
können dies letzten Endes zeigen. Die Psychovoren sind der<br />
Schlüssel, die Anubier das Schloss. Einmal entriegelt sind sie<br />
frei, aus der Welle auszuscheiden und Seite an Seite <strong>mit</strong> Anubis<br />
die Welt zu beschreiten. In ihrer Mythologie ist die Unterwelt<br />
kein Ort der Toten – es ist der Ort über den Wassern: Ein Ort,<br />
der allein den Menschen und der Individualität gehört. Dorthin<br />
zu gelangen ist ihr Erbe und ihr Ziel.<br />
S C H A K A L E<br />
<strong>Das</strong> Tier der Nekropolen: Der Schakal fiel stets dadurch auf,<br />
dass er auf den Totenfeldern umherstreifte. Als suchte er<br />
etwas, scharrte er <strong>mit</strong> den Pfoten im heißen Sand. Hatte er<br />
schließlich einen vertrockneten Arm, nur noch lose umschlungen<br />
von grauen Bandagen, frei gelegt, so zerrte er weiter, um<br />
<strong>mit</strong> seinem Fund in den Hügeln zu verschwinden.<br />
Die Anubier sind nicht anders – manch Unwissender behauptet<br />
gar, der Schakal hätte es sich bei ihnen abgeschaut.<br />
Doch die Anubier sind nicht auf der Suche nach ägyptischen<br />
Mumien. Sie sind auf der Suche nach ihresgleichen. Nach dem<br />
ersten Volk. In großen Gruppen durchschwärmen sie die anubische<br />
Wüste und durchwandern die abgelegenen Bergregionen.<br />
Bewaffnet sind sie nur <strong>mit</strong> einem gesegneten Stab, ihren<br />
Augen und ihrer Seele. Der zwei Schritt lange Stab wird unter<br />
Singsang in den Wüstensand gestoßen, während sie die Ebene<br />
durchmessen. Immer wieder, rhythmisch, Schritt für Schritt.<br />
Bis ihnen in der Seele ein Bild entflammt: Flehende Hände,<br />
die aus der Dunkelheit emporragen. Die Suchenden verharren<br />
daraufhin und machen sich daran, den Sand <strong>mit</strong> bloßen<br />
Händen beiseite zu schaufeln. Oft stoßen sie auf nichts weiter<br />
als auf festes Gestein. Dann geben sie auf und ziehen weiter.<br />
Manchmal jedoch legen sie Treppen frei. Treppen in den<br />
Vorhof zur Unterwelt. Die Uralten warten dort, vor Äonen<br />
in prächtigen Sarkophagen aus Gold, Lapislazuli und Chrom<br />
konserviert. Jetzt ist ihre Zeit gekommen, sie in die verbotene<br />
Stadt zu bringen.<br />
Obwohl der Schakal das dominierende Symbol des Kults ist,<br />
bezeichnen die Anubier nur ihre Grabsucher als Schakale.<br />
D A S E R S T E V O L K<br />
Die alten Schriftrollen berichten von geöffneten Gräbern, von<br />
der Ankunft der Uralten und ihrer Reanimation. Die lange<br />
Kette der Schrift des Lebens wurde einst von Anubis selbst<br />
verfasst und ist tadellos in ihnen. Kein falscher Buchstabe,<br />
keine verquere Passage stört die Perfektion. Sie sind wie er. In<br />
ihnen wird er einst auf Erden wandeln. Die alten Texte berichten<br />
weiter, dass nur die Erwachten in die Erden-Chakren vorzustoßen<br />
vermögen, ohne von ihnen aufgesogen zu werden.<br />
Von innen werden sie das Werk des Primers zerstören und die<br />
fremde Welle durchbrechen.<br />
D I E V E R B O T E N E S TA D T<br />
Kairo liegt im Würgegriff der Psychovoren. Die Pyramiden<br />
von Gizeh gelten als überwuchert, wie auch die Straßenzüge<br />
der ehemaligen Millionenstadt. Und doch werden die gelehrtesten<br />
Anubier genau hierhin zitiert – in einen giftigen<br />
Dschungel, der für Menschen nichts als einen grausamen Tod<br />
durch Geschwüre und Wahnsinn bereit hält.<br />
Jeder Anubier weiß, dass in Kairo die ältesten Hohepriester<br />
des Kults die Tempel der Urahnen bezogen haben, doch was<br />
sie gerade dort treiben, bleibt schleierhaft. <strong>Das</strong> africanische<br />
Volk hat sich längst vor den Psychovoren ins Hinterland geflüchtet,<br />
weit weg von den verseuchten Fluten des Nils. Keiner<br />
der einstmals zahlreichen Stämme hält sich noch in der Nähe<br />
Kairos auf. Die Anubier sind allein in diesem Landstrich.<br />
Anubier, die dem Geheimnis auf die Spur zu kommen hofften<br />
und sich auf den Weg durch die Psychovoren machten,<br />
stolperten Tage später zurück in die Lehmhütten-Siedlungen,<br />
aus denen sie aufgebrochen waren. Ihre Haut war zerkratzt<br />
von den Dornen des Dickichts, faulige Pusteln am ganzen<br />
Leib erbrachen stinkenden Eiter. <strong>Das</strong> Stammesvolk wich vor<br />
ihnen zurück, wie sie umwirbelt von Psychovoren-Sporen<br />
in die Dörfer wankten und schließlich von innen und außen<br />
zerfressen in den Staub stürzten. Die meisten starben lautlos,<br />
doch die Worte der wenigen, die die Warnung noch aussprechen<br />
konnten, sind unvergessen: „Kairo ist verboten. Für uns,<br />
wie auch für euch.“