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Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis

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96<br />

L E B E N A L S R E K R U T<br />

Die ersten Semester werden die jungen Rekruten tagsüber<br />

im Appendix die niedersten Arbeiten zu verrichten haben,<br />

an ihrer Seite ein erfahrener Pfleger. Sie werden das Leid in<br />

all seinen Facetten hautnah erfahren – Blut, Eiter und Fäule<br />

begleiten sie auf all ihren Wegen, die Schreie der Sterbenden<br />

hallen hohl in ihren Schädeln wider. Die schweren Gasmasken<br />

und gasdichten Anzüge zehren an ihrer ohnehin angeschlagenen<br />

Verfassung; die beißenden Desinfektions<strong>mit</strong>tel bei<br />

der verordneten allabendlichen Säuberung reizen Augen und<br />

Haut. Des Nachts sammeln sich die erschöpften Rekruten<br />

zum Seminar, wo der unbarmherzige Drill auf einer anderen<br />

Ebene fortgeführt wird. Wer es nicht vollbringt, die Schriftsprache<br />

nach zwei Semestern ohne Fehl zu beherrschen, hat<br />

versagt, die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt und wird<br />

in Unehren entlassen – „Dummheit ist eine Krankheit, gegen<br />

die selbst wir kein Mittel haben“, erinnern die Ausbilder ihre<br />

fieberhaft <strong>mit</strong>schreibenden Schüler immer wieder aufs Neue.<br />

Versager sind den Spitaliern ein Gräuel, sie belasten die Gruppe<br />

und nehmen fähigeren Aspiranten den Platz. Der Druck<br />

ist hoch, rotgeränderte Augen zeugen von langen Nächten<br />

des Lernens, Krankheiten zeichnen die ausgelaugten Körper.<br />

Viele halten nicht stand und brechen zusammen. Oft wird<br />

diese Schwäche als „A-praxie“ gedeutet, die pflichtvergessene<br />

Untätigkeit – eine schwere Beschuldigung, die als Strafe nur die<br />

Verbannung kennt.<br />

Nur ein kleiner, harter Kern schafft es nach vier Semestern<br />

zu den Prüfungen.<br />

P F L E G E R<br />

Nach mehrtägigen Prüfungen, die vor allem die Vertrautheit<br />

<strong>mit</strong> der Schriftsprache sowie Grundlagen der Diagnostik und<br />

der Hygiene sowie das Säubern von Wunden und Anlegen<br />

von Verbänden kontrollieren, dürfen sich die erfolgreichen<br />

Rekruten Pfleger nennen. Nur wenige scheitern nach den vier<br />

harten Semestern. Wer es bis hierher geschafft hat, musste<br />

seine Entschlossenheit und sein Durchhaltevermögen bereits<br />

vielfach unter Beweis stellen. Erst jetzt ist der ehemalige Rekrut<br />

ein Spitalier.<br />

Die Arbeit eines Pflegers unterscheidet sich nur geringfügig<br />

von der eines Rekruten, hinzu kommen erstmals verwaltungstechnische<br />

Aufgaben im Appendix. Die Pfleger sind es auch,<br />

die <strong>mit</strong> den Hilfesuchenden die Aufenthalts- und Behandlungskosten<br />

gemäß der Richtlinien aushandeln. Die Waren<br />

oder Wechsel werden im Anschluss daran von Rekruten in die<br />

bewachten Lagerhäuser verbracht.<br />

Je nach Auslastung der Appendix-Zone betreut ein Pfleger<br />

<strong>mit</strong> einem kleinen Team Rekruten 60-100 Patienten, für deren<br />

Versorgung und einfachste medizinische Behandlung er die<br />

Verantwortung trägt. Der tägliche Gang <strong>mit</strong> den Karren zum<br />

Nahrungsverteiler gehört genauso zum Alltag wie das Säubern<br />

und Desinfizieren der Lager, das Nähen von Wunden und die<br />

Verordnung von Medikamenten.<br />

E N K L AV E N - Ä R Z T E<br />

<strong>Das</strong> Spital verschlingt enorme Mengen an Nahrung und Energie<br />

allein für die Aufrechterhaltung des Heil-Betriebs im Appendix.<br />

Die von den Siechen eingeforderten Honorare decken<br />

die Kosten zwar, erwirtschaften aber keinen Überschuss, der<br />

für Expeditionen nach Pollen und Franka erforderlich wäre.<br />

Sicherlich würde das justitianische Protektorat gerne – nicht<br />

ganz uneigennützig – die Versorgung des Spitals übernehmen,<br />

aber bislang weigerten sich die Ärzte beharrlich, sich den Richtern<br />

vollends auszuliefern.<br />

Den so genannten Enklaven-Ärzten zum Dank ist dies auch<br />

nicht nötig: <strong>Das</strong> Spital vermietet einzelne Ärzte an fremde<br />

Dörfer und Städte und fordert im Gegenzug Nahrung, Öl,<br />

Handwerker und Söldner. Enklaven-Dienst wird im allgemeinen<br />

als Strafe erachtet. Allein die Androhung, unter all<br />

den ungebildeten, vulgären Wilden zu arbeiten, ist für viele<br />

Spitalier Grund genug, ihre Leistungen zu steigern und skrupellos<br />

eventuelle Konkurrenten auszustechen. Nachzügler im<br />

Studium oder Ärzte <strong>mit</strong> zweifelhaften Ansichten finden sich<br />

schnell in einem entfernten Dorf wieder, fernab würdiger<br />

Gesellschaft.<br />

F A M U L A N T E N<br />

Nach weiteren vier praktischen Semestern erlangen Pfleger<br />

das Recht, <strong>mit</strong> dem Studium der Medizin zu beginnen. Dazu<br />

wechseln sie in den Corpus über, wo sie neue Quartiere zugewiesen<br />

bekommen. In den unterirdischen Kavernen und<br />

bunkerartigen Laboren erfahren die Famulanten erstmals das<br />

wahre Ausmaß der Macht des Spitals und erahnen die enormen<br />

Ressourcen, die zu Gebote stehen.<br />

Viele sind traumatisiert von der Flut des Elends, den Schreien<br />

und dem Chaos, gegen das sie im Appendix Tag um Tag<br />

ankämpfen mussten. Im Corpus dann muten die elysische<br />

Ruhe und die Konzentration wie eine unwirkliche Posse an<br />

– erst recht, wenn die Famulanten erkennen, dass es ein leichtes<br />

wäre, das Siechtum in der äußeren Zone und weit darüber<br />

hinaus effektiv zu bekämpfen und einzudämmen. Unmengen<br />

an Antibiotika und anderen hochwirksamen Mitteln warten in<br />

den unterirdischen Lagern nur auf ihren Einsatz, und doch<br />

halten die allmächtigen Konsultanten die Medikamente ohne<br />

begreiflichen Grund unter Verschluss.<br />

Für viele Famulanten ist dies der Scheideweg, eine Gratwanderung<br />

zwischen Gewissen und Obrigkeitsgehorsam. Sollen<br />

sie die Unfehlbarkeit der Mächtigen an der Spitze der Spitalier-<br />

Hierarchie anerkennen und die eigenen Zweifel als Unwissenheit<br />

abtun? Oder sollen sie aufbegehren und darum kämpfen,<br />

dass die Tore für die Hilfesuchenden aufgestoßen werden<br />

– und die Verbannung riskieren? Denen, die letzteres als ihren<br />

Weg erkennen, begegnet man als Heilsbringer in Dörfern oder<br />

vor den Mauern des Spitals – einstmals stolze Gestalten, die<br />

jetzt von einem flackernden Wahn beseelt gegen den gottlosen<br />

Geiz der Spitalier wettern.<br />

Die Zahl der linientreuen Famulanten ist groß, wie gewissenlose<br />

Drohnen stürzen sie sich auf die Arbeit, um eines<br />

Tages verstehen und ihre Wahl rechtfertigen zu können. Verbissene<br />

Konzentration und die Abkehr von der äußeren Welt<br />

sind notwendig, will man die nächste Stufe in der Hierarchie<br />

erklimmen. Ärzte und Konsultanten beobachten und doku-

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