Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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langer, wippender Antenne, den Flammenwerfer <strong>mit</strong> brennender<br />
Pilotflamme locker in der Armbeuge. Gestalten, die<br />
beeindrucken sollen.<br />
Dann ein Tor, wieder warten Spitalier auf ihre Abfertigung<br />
durch die Hygieniker, andere marschieren in geordneter Reihe<br />
hinaus in den äußeren Ring, entschlossen, einige dem Tode<br />
geweiht. Gestöhne und Geschrei wehen herüber, umfangen<br />
die Ärzte, die sich um die Legionen an Kranken kümmern.<br />
Chronistenwechsel, Pelze, glitzernder Schrott, Ölflaschen und<br />
anderes von Wert wechseln die Besitzer – Angehörige der Siechen<br />
häufen Gaben vor den Spitaliern auf, bis diese sich bereit<br />
erklären, <strong>mit</strong> Skalpell und Säge zur Behandlung zu schreiten,<br />
oder auch nur ein Medikament auszugeben. Sie sind wie Götter<br />
für dieses arme Volk.<br />
* * *<br />
Viele hundert Kilometer vom Spital entfernt. Im Land der<br />
Pollner. Der schwarze Hengst schüttelt widerwillig den Kopf,<br />
versucht seine gewaltige Gasmaske am Boden abzustreifen.<br />
Die Preservistin streicht ihm beruhigend über den Hals und<br />
setzt auf. <strong>Das</strong> Leder des Sattels knarrt, als sie sich in eine<br />
bequeme Position windet. <strong>Das</strong> Pferd scharrt <strong>mit</strong> den Hufen,<br />
wiehert dumpf unter der Maske. Es ist nervös. Die Preservistin<br />
strafft die Zügel und blickt nüchtern auf das Massaker,<br />
dass ihre untergebenen Spitalier an den Absonderlichen verübt<br />
haben. Groteske Gestalten waren es, schienen direkt der Hölle<br />
entsprungen. Ohne sie ist die Welt sicherer. Und sauberer.<br />
Spitalier. Sie sind überall, strömen in die ganze Welt. Überrennen<br />
versporte Siedlungen. Merzen aus. Verbrennen. Die<br />
Wunden, die sie schlagen, werden sie heilen. Irgendwann.<br />
P E S T H A U C H<br />
Ein verlassener Flügel im Spital, dunkel und staubig. Rostige<br />
Bettgestelle lehnen an den Wänden, lassen nicht ahnen, dass<br />
hinter der nächsten Tür eines der uralten Archive liegt. In alten<br />
Hängeregistraturen auf eng beschriebenen Zetteln, zwischen<br />
Krankenblättern und Totenlisten stößt man auf die Vergangenheit<br />
eines der ältesten Kulte Borcas. Entnimmt man die<br />
Dokumente den brüchigen Folien und bläst die Asche – letztes<br />
Zeugnis des großen Brandes von 2499 – fort, so offenbart sich<br />
ein unrühmliches Kapitel der frühen Spitalier-Geschichte. Die<br />
Wörter hetzen über die <strong>Seiten</strong>, reihen sich zu fiebrigen Sätzen;<br />
sie lesen sich stoßweise und abgehackt, wie das Keuchen eines<br />
Gejagten. Sie berichten von Flüchtlingsströmen, die nach einer<br />
Katastrophe im Wuppertaler Raum gegen die Mauern des<br />
Hauptquartiers des „Krisenkommandos südliches Ruhrgebiet“<br />
brandeten. Von verbrannten Menschen ist da die Rede,<br />
deren rußige Lumpen kaum vom garen Fleisch zu unterscheiden<br />
waren; von Schreien und dem allgegenwärtigen Stöhnen<br />
der Massen. Dortmund wurde unfreiwillig zu einem Lazarett<br />
– der faulige Gestank des Todes wehte durch seine Straßen.<br />
Die Einwohner waren vor der Welle aus Pest und Verderbnis<br />
nach wenigen Tagen blutigen Widerstands geflohen. Die Stadt<br />
gehörte den Flüchtlingen. <strong>Das</strong>s die Ärzte dem Ansturm nicht<br />
gewachsen waren, war schnell klar. Dazu kamen Probleme <strong>mit</strong><br />
den Nahrungs<strong>mit</strong>teltransporten, die von Banden gestoppt und<br />
geplündert wurden.<br />
Folgt man den alten Schriften aufmerksam, bemerkt man,<br />
dass der verzweifelt anmutende Schreibstil <strong>mit</strong> seinen eindringlichen<br />
Schilderungen des Leids der Bevölkerung zu einer<br />
nüchternen Betrachtung verkommt. Man vergrub seine Gefühle<br />
und sein Mitleid unter Tonnen an Statistiken, reduzierte<br />
die Opfer zu Zahlen und Kostenstellen. Denn längst konnte<br />
man nicht mehr alle Patienten behandeln. Um einigen wenigen<br />
noch gerecht zu werden, bewertete man sie nach einem komplexen<br />
Verfahren – wer eine vorgegebene Punktzahl erreichte,<br />
war dem Leben einen Schritt näher und schuldete dem medizinischen<br />
Stab mindestens einen Gefallen.<br />
D I E Z W E I T E W E L L E<br />
Vier Jahre nach dem Eshaton normalisierte sich die Situation<br />
für die Ärzte. Man hatte das Klinikum und Hauptquartier des<br />
Krisenkommandos inzwischen in „Spital“ umgetauft. Ehemalige<br />
UEO-Truppen dienten den Ärzten als Polizeikräfte und<br />
sicherten die Umgebung. Unruheherde hatten sie ausgehoben,<br />
das Kriegsrecht fand oft und schnell Anwendung. Weite Teile<br />
Dortmunds glichen einer Nekropole – Skelette in flatternden<br />
Lumpen säumten die Straßen, achtlos von Bulldozern zur Seite<br />
geräumt. Hunde, Ratten und Insekten rissen das letzte Fleisch<br />
von frischen Kadavern. Wind kam auf, und <strong>mit</strong> sich brachte er<br />
die rote Kraterasche. In großen Flocken legte sie sich über das<br />
Zeugnis von Schmerz und Siechtum, begrub diesen Teil der<br />
Geschichte schließlich gänzlich unter sich.<br />
Die Flüchtlingsströme waren derweil zu einem Rinnsal<br />
geschrumpft, die Situation wurde kontrollierbar. Doch noch<br />
war man nicht auf der sicheren Seite, eine letzte Gefahr blieb:<br />
Die Ärzte hatten gehofft und gezittert, dass das HIVE, diese<br />
berüchtigte Krankheit aus dem fernen Afrika, auf dem Weg in<br />
den kalten Norden verrecken würde. Man hatte sich getäuscht.<br />
Als die ersten Fälle im Ruhrgebiet auftauchten, verbarrikadierten<br />
sich die Ärzte hinter den Mauern ihres Spitals. Mitglieder<br />
des Krisenkommandos, die es zu spät in den Komplex schafften,<br />
standen plötzlich vor verschlossenen Toren. Die in den<br />
Lazaretten auf ihre Heilung Wartenden wurden über Lautsprecher<br />
angewiesen, die Region zu verlassen, da das Spital <strong>mit</strong><br />
sofortiger Wirkung geschlossen sei. Aus Ratlosigkeit und blanker<br />
Verzweiflung erwuchs eine Welle der Empörung, die sich<br />
in Gewalt und Chaos entlud. Doch das HIVE wütete bereits<br />
unter den Angreifern, dünnte ihre Reihen aus. Belagerungsgerät<br />
und Waffen entglitten den Händen der Infizierten. Der<br />
Widerstand war gebrochen, bevor die Schlacht angefangen<br />
hatte. Die Ärzte indes beobachteten das schaurige Geschehen<br />
vor ihren Mauern durch vergitterte Fenster und von hohen<br />
Dächern. In ihren Augen spiegelte sich die Verzweiflung der<br />
Kranken wider. Mitleid und Pflichtbewusstsein fochten einen<br />
Kampf gegen Selbsterhaltung und Verstand – manch ein Arzt<br />
zerbrach daran und stürzte sich in die Tiefe. Die anderen gelobten<br />
niemals wieder der Welt den Rücken zu kehren.<br />
N E U E Z I E L E<br />
Es sollte über eine Dekade dauern, bis die Ärzte die Tore ihrer<br />
Zuflucht aufstießen und in eine veränderte Welt hinaus schritten.<br />
In den Jahren des Exils hatten sie Zeit gehabt, ihre Taten<br />
und Ziele zu überdenken und auf eine neue Basis zu stellen.<br />
Nichts ist heute mehr von diesem Prozess überliefert. Der<br />
große Brand tilgte die Dokumente und raubte den Spitaliern<br />
einen wichtigen Teil ihrer Entstehungsgeschichte, darunter das<br />
Geheimnis, wie sie ohne Nahrungstransporte in dem kargen<br />
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