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Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis

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18<br />

„Tu mir das nicht an.“ In ihren Augen standen Tränen. Ihre<br />

Hände hielten seine umfangen. Blass und zerbrechlich wirkten<br />

sie auf seinen sehnigen Pranken, den Händen eines jungen<br />

Mannes, der sich zu Höherem berufen fühlte. Schwert und<br />

Brenner statt Mistgabel und Sense sollten sie führen; hoch<br />

in die Luft würde seine Faust sich recken, wenn der Feind<br />

zerschlagen auf dem Felde läge. Aus seiner Kehle dränge ein<br />

Siegesschrei, hunderte – nein! – tausende Kameraden würden<br />

einstimmen. Die Welt läge ihm zu Füßen!<br />

„Nik... Du hörst mir wieder nicht zu.“<br />

Nik und seine Anvertraute Nebe hockten auf dem Boden,<br />

das stoppelige, gelbe Gras um sie herum war platt gesessen.<br />

Oft kamen sie hierher. Der Nordwestwind hatte vor Tagen<br />

rote Asche von den Kratern Borcas herbei getragen und sich<br />

wie ein luftiger Schleier über Ruinen und Land gelegt. Jetzt<br />

rieselte sie bei jedem Lufthauch von toten Fenstersimsen oder<br />

rissigen Mauervorsprüngen. Nik und Nebe liebten diesen Ort<br />

– jeder auf seine Weise: Hier zu sein war für Nik, als befände<br />

er sich in einer Momentaufnahme der Zeit; die Reihen von<br />

Ruinen, die sich den Hang hocharbeiteten und schließlich von<br />

dem dunklen Nadelwäldchen geschluckt wurden, waren ein<br />

Blick in die Vergangenheit. Hier hatten einst seine Vorfahren<br />

gelebt. Für Nebe war dieser Ort ein Rückzugsort aus der Gemeinschaft,<br />

an dem sie sich der Melancholie und Schwärmereien<br />

hingeben durfte, ohne von den verknöcherten Greisinnen<br />

am Mädchenbrunnen als närrisch beschimpft zu werden. Und<br />

es war der Ort, an dem sie Nik vor zwei Wintern ihre Liebe<br />

gestanden hatte.<br />

„Weil du nichts zu sagen hast. Nichts davon ist wichtig.“<br />

„Und was du sagst, ist also wichtiger? Weil du dir ach so<br />

viele Gedanken machst?“<br />

Nik blickte Nebe nur stumm an. Sie wollte aufbegehren und<br />

war doch wieder in die Verteidigung gedrängt worden.<br />

„Aber warum...“ Sie krallte ihre Finger in seinen Unterarm,<br />

dass es sie selbst schmerzte. Jede körperliche Pein war erträglicher<br />

als die in ihrer Seele. „Aber warum hast du den Schritt <strong>mit</strong><br />

mir gemacht? Die Anvertrauung?“<br />

S O M M E R<br />

„Ich war blind. Damals.“<br />

Nebe war geringen Standes in der Dorfhierarchie. Entgegen<br />

aller Widerstände waren sie zusammengekommen und hatten<br />

sich behauptet. Ihr Leben bestand aus Konflikten, war nie...<br />

„Langweilig. <strong>Das</strong> alles hier langweilt mich.“<br />

Einen Moment blickten beide stumm in die Tiefe. Ein<br />

schmaler Weg schlängelte sich von der Anhöhe ins Tal,<br />

durchschnitt auf seinem Weg eine zerfressene Teer-Trasse,<br />

die aus dem Nirgendwo kam und auch dorthin verschwand.<br />

Schwarzer Rauch kringelte sich aus den Deckenöffnungen<br />

der niedrigen Hütten unten. Von hier oben sahen sie aus wie<br />

umgedrehte Körbe aus Bast. Jede Familie ein Körbchen. An<br />

den Hängen des Tals drängten sich die steinernen Zeugnisse<br />

des Urvolks: Wuchtige Blöcke aus Beton, braun und rissig vor<br />

Alter. Als habe der Schöpfergott sie persönlich in die weiche<br />

Erde der Hänge gepresst. Der Aufseher lebte dort oben <strong>mit</strong><br />

seinem Gefolge aus dummen Schlägern, hatte einen guten<br />

Blick auf sein Volk. Nik fragte sich, was jenseits dieses und<br />

des nächsten Tals lag. Gab es andere Reiche, die größer waren<br />

als das ihre? Ihre Gemeinschaft zählte über 70 Seelen, davon<br />

50 Männer und Frauen an der Waffe geschult; eine größere<br />

Armee war bis vor zwei Tagen für Nik unvorstellbar gewesen.<br />

Sein Blick wanderte durch das Tal bis zum Sonnenpass. Jeden<br />

Morgen begann das Himmelsgestirn dort seinen Tagesmarsch,<br />

grüßte seine Untertanen <strong>mit</strong> seinem ersten Schein zwischen<br />

dunklen Felsnadeln. Unterhalb des Passes weitete sich das Tal<br />

zu einer breiten Senke, als nehme es Kraft, bevor es sich als<br />

schroffe Spalte einen Weg durch das Bergmassiv grub. Dutzende<br />

Lagerfeuer entließen dort dünne, aber tiefschwarze<br />

Rauchfahnen in den Himmel – feuchtes Holz, schlussfolgerte<br />

Nik. <strong>Das</strong> mächtige Nadelgehölz, das vor Tagen noch so dicht<br />

und buschig die Hänge bedeckte, war zurückgedrängt. Traurige<br />

Stummel waren geblieben. Von Niks und Nebes Aussichtspunkt<br />

aus konnte man die Männer und Frauen an den Feuern<br />

nicht erkennen – aber es waren viele. Wiedertäufer, eine ganze<br />

Kompanie.<br />

Nebe senkte den Blick, ihre Hände lösten sich von seinen.

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