Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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dem Zusammenbruch der Versorgungslinien ihre Panzerfahrzeuge<br />
auf und gliederten sich in die Reihen der Bettler<br />
und Tagelöhner ein. Nicht wenige schlugen Kapital aus ihrer<br />
überlegenen Bewaffnung und schwangen sich zu Kriegsherren<br />
und Despoten auf.<br />
In diesen Tagen tauchte erstmals eine Droge namens Burn<br />
in den äußeren und ärmsten Vierteln der Stadt auf. Die Menschen<br />
dort galten als hoffnungslos, es waren Neuankömmlinge,<br />
für die niemand mehr aufzukommen vermochte. Die<br />
anfänglich hochgehaltene Solidarität war der Realität nicht<br />
länger gewachsen. Rammstoß um Rammstoß ließen Pestilenz<br />
und Hunger sie bröckeln und schließlich endgültig zusammenbrechen.<br />
Plötzlich stand man alleine da, musste ein Wolf sein,<br />
um zu überleben.<br />
Man gierte nach einer Möglichkeit zur Selbstflucht – die einen<br />
um das eigene Leid erträglich zu machen, die anderen um<br />
ihr Mitleid und die verspürte Schuld zu verdrängen. Alkohol<br />
war teuer, selten und medizinischen Zwecken vorbehalten, und<br />
so gab man sich der neuen Versuchung, dem Burn, hin. Und<br />
ja, es wirkte. Die von der Droge Beseelten entschwanden für<br />
Stunden in eine bizarre Traumwelt, um gestärkt aus ihr empor<br />
zu steigen. Der Körper verspürte keinerlei Bedürfnisse mehr,<br />
weder Hunger noch Kälte zwangen ihn in die Knie. Die Burner,<br />
wie die Abhängigen inzwischen genannt wurden, brannten<br />
von innen heraus, der Treibstoff sollte ihre Seele sein.<br />
Zuerst ein gut gehütetes Geheimnis, wenige Jahre später<br />
schon Allgemeinwissen, war der Herkunftsort der Droge: Im<br />
Zentralmassiv an den Hängen des Souffrance-Kraters, weit<br />
entfernt von der nächsten frankischen Siedlung, spross sie in<br />
großen Feldern. Einzelne Glücksritter wie auch ganze Sippen<br />
zogen in den Süden, um die ertragreiche Region zu sichern.<br />
Man erwartete ausgedehnte Kämpfe um die Vorherrschaft,<br />
orakelte über das Erstarken einer verbrecherischen Schicht und<br />
einen Drogenkrieg, der über das Land kommen würde wie die<br />
sieben biblischen Plagen. Nichts von dem trat ein. Man einigte<br />
sich. Man teilte. Auch wenn die Obacht!-Rufe der Pessimisten<br />
in die falsche Richtung wiesen, sollten sie dennoch beantwortet<br />
werden: Statt der sieben Plagen wurde es nur eine.<br />
Insekten. Sie hatten in den Katakomben von Paris riesige<br />
Bruthöhlen angelegt. Schillerndes und vibrierendes Leben in<br />
der Dunkelheit, besser angepasst an die Kälte und vergammelte<br />
Nahrung als der Mensch. Als sie an die Oberfläche brachen,<br />
zählte man sie neben der grassierenden Typhus-Epidemie<br />
und dem <strong>mit</strong> Leichengift verseuchten Trinkwasser zu den<br />
zahlreichen Übeln des Lebens – und erhöhte die Burn-Dosis,<br />
um auch diesen Schrecken aus dem Bewusstsein zu drängen.<br />
Überall dort, wo die wimmelnde Flut auftauchte, breitete sich<br />
auch die bis dato unbekannte Fäulnis aus, wuchs Wände hinauf,<br />
griff in die Tiefe, um an anderer Stelle nach oben zu stoßen<br />
und neue Gebiete zu erobern. Je weiter die Verseuchung<br />
voran schritt, um so mehr Burn floss in die Metropole. Die<br />
ersten Burn-Toten ließen niemanden aus seiner Apathie aufschrecken;<br />
der weiße Flaum, der aus den klaffenden Mündern<br />
der Leichen wucherte, blieb unbemerkt.<br />
<strong>Das</strong> Land hatte im Takt seiner Hauptstadt geatmet, bezog<br />
seine Lebensenergie aus ihr. <strong>Das</strong> sollte sich ändern. Die Lungenflügel<br />
waren von Schleim verklebt, Pesthauch und Insekten<br />
strömten aus dem Rachen des Sterbenden.<br />
Die Brutstätten des Heers der Millionen brummten und<br />
vibrierten vor Geschäftigkeit, die Zeiträume zwischen den<br />
eruptiven Ungezieferschüben reduzierten sich auf wenige<br />
Tage – zu wenige, um die Verheerungen der letzten Woge<br />
noch auszugleichen. Die Nahrungsreserven gingen zur Neige,<br />
da der Schwarm immer einen Weg in die Silos fand. Der Rest<br />
war verseucht von Fliegeneiern und Maden. Die schwarze Brut<br />
beherrschte die Straßen.<br />
Schließlich flohen die Menschen. Nach Souffrance, der<br />
neugegründeten Stadt am Krater, in der man einander und<br />
dem Burn nahe war. Und der Schwarm folgte ihnen, fiel über<br />
das Land her, entlaubte Bäume und verschlang das knospende<br />
Grün Frankas. Schneisen der Zerstörung gingen von Paris<br />
aus. In jenen Tagen gab man der einst geliebten und jetzt<br />
verabscheuten Hauptstadt den Namen Parasite. Denn wie ein<br />
solcher hing sie an Franka und nahm dem Land seine Kraft.<br />
D I E B E F R E I U N G<br />
Franka sollte nicht lange der Willkür des Ungeziefers ausgeliefert<br />
bleiben. Seltsame Gestalten entstiegen den vom Souffrance-Einschlag<br />
zerschmetterten Bergen des Zentralmassivs.<br />
Die meisten von ihnen waren nackt, verbargen bestenfalls ihre<br />
Scham oder trugen Schaftstiefel, staubig vom Geröll; knotige<br />
Geschwülste verunzierten ihre Leiber, als seien sie Opfer einer<br />
grotesken Krankheit. Sie bewegten sich unstet hin und her,<br />
wankend wie Betrunkene, aber kontrolliert und kraftvoll. Es<br />
war ein geheimer, komplexer Tanz, <strong>mit</strong> dem sie untereinander<br />
kommunizierten ohne dass ein Wort über ihre Lippen kam.<br />
Sie waren friedfertig, schlichen auf ihre eigentümliche Weise<br />
durch die Dörfer und begutachteten den Schrecken, den die<br />
Insektenplagen über die Franker gebracht hatten. In den ersten<br />
Tagen ließ ihre Fremdartigkeit die Bevölkerung in Angst zurückweichen.<br />
Als die Absonderlichen den Dörflern schließlich<br />
demonstrierten, dass kein Insekt sich ihnen zu nähern wagte,<br />
wich das Misstrauen und schlug in Bewunderung um, als die<br />
Fremden ihren mystischen Einfluss schließlich ausweiteten.<br />
Man wurde sich bewusst, dass die Absonderlichen – die sich<br />
selbst als Pheromanten bezeichneten – einen Neuanfang boten:<br />
Landwirtschaft und das Anlegen von Vorräten war nicht<br />
länger eine Unmöglichkeit, der Zusammenschluss mehrerer<br />
Familien zu einer Kooperative geriet nicht mehr zu einem<br />
unkalkulierbaren Risiko. <strong>Das</strong> Leben entwickelte sich, und die<br />
Absonderlichen nahmen einen wichtigen Platz darin ein. Hier<br />
waren sie Ratgeber, andernorts stellten sie den Ortsvorsteher<br />
– in Souffrance bildeten fünf von ihnen die oberste Instanz.<br />
Und tatsächlich, Souffrance gedieh, so wie man es sich für<br />
Paris gewünscht hätte.<br />
F Ä U L N I S<br />
Während weite Teile Europas von einer Dürre heimgesucht<br />
wurden und zu staubigen Wüsten verkamen, sperrte eine tektonische<br />
Anomalie die Wasserzirkulation Frankas und ließ es<br />
in seiner eigenen fauligen Brühe ersaufen. Sümpfe und Moore<br />
dominieren heute das Kernland, wo früher ausgedehnte Weinplantagen<br />
den Reichtum des Landes begründeten. Birken- und<br />
Weiden-Gruppen, sowie Flecken von Gras und dornigem<br />
Gestrüpp bilden die einzigen Farbtupfer in<strong>mit</strong>ten des tristen<br />
Braun-Schwarz des Morasts. Flache Boote und Hütten auf<br />
Stelzen gehören zum Alltag der Franker. Die Ruinen des Urvolks<br />
wurden ein Opfer der Feuchtigkeit – überwuchert von<br />
Moosen, Sträuchern und Bäumen, die wenigen verbleibenden<br />
freien Betonflächen geschwärzt vom Dreck der Jahrhunderte,<br />
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