Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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chernen Samowaren, lacht und rauft sich freundschaftlich.<br />
Wieder aus dem Labyrinth der schmalen Gassen zurück auf<br />
der Hauptstraße wird man der reichen Händler des Neolibyer-Kultes<br />
gewahr, wie sie <strong>mit</strong> ihrem Gefolge über die Straße<br />
flanieren und ihre gediegenen, <strong>mit</strong> strahlend weißen Leinenbannern<br />
überdachte Läden und Lokale überprüfen. Man<br />
erkennt die Händler an den kostbaren Tüchern, die sie sich<br />
um den Leib schlingen und den fein gearbeiteten Jagdflinten,<br />
ihrem Statussymbol. Sie strahlen Selbstsicherheit und Macht<br />
aus, befehligen <strong>mit</strong> beiläufigen Gesten ihren Anhang, der sie<br />
wie ein Bienenschwarm umschwirrt und buckelt. Sie sind es,<br />
die den Metropolen ihren Glanz brachten, der weit über Africa<br />
hinaus in das wüste Europa scheint. Hier an der Küste Africas<br />
entsteht eine neue Hochkultur, die alle anderen in den Schatten<br />
zu stellen droht.<br />
Verlässt man die Küstenstädte und begibt sich in das wilde<br />
Hinterland, stößt man auf kleinere Dörfer. Die Straßen sind<br />
von den sintflutartigen Regenfällen unterhöhlt und vielerorts<br />
überschwemmt. Der dampfende Urwald sprengt <strong>mit</strong> seinen<br />
Wurzeln die Asphaltdecke, die Pflanzen kriechen selbst in<br />
feinste Spalten. Große Flächen sind gerodet und machen Platz<br />
für Maniok und Getreide. Rotgebrannte Männer und Frauen<br />
arbeiten hier unter der Aufsicht von Geißlern. Es sind Sklaven<br />
aus den Balkhan- und Hybrispania-Feldzügen; sie findet man<br />
auch an den stinkenden, schwarzen Ölpumpen der Neolibyer.<br />
Sie alle sind kräftig und scheinen gesund, doch ihre Augen<br />
sind leer. Niemals werden sie zu ihrer Familie zurückkehren;<br />
niemals würden die Familien ihre Rückkehr dulden.<br />
Noch weiter im Süden verdichtet sich die Vegetation zu<br />
einem undurchdringlichen Dschungel. Ein verwirrendes<br />
Farbspiel aller Grüntöne. Die Schwüle ist unerträglich, giftige<br />
Pflanzen und Tiere sind überall. Schrille Schreie und kehliges<br />
Glucksen lösen sich ab, überall ist Bewegung. Bunte Vögel<br />
wechseln von Baumwipfel zu Baumwipfel, trällern oder zanken,<br />
wenn ein stärkerer Artgenosse ihnen eine saftige Frucht<br />
streitig macht. Der Wald lebt. Der Mensch ist nur Gast hier.<br />
Wenige Sippen streifen noch durch das Dickicht oder nennen<br />
es gar Heimat. Hier unten haust etwas anderes, etwas fremdes.<br />
Die Pflanzen sind verändert, kommen so sonst nirgends auf<br />
der Welt vor. Die Veränderungen sind zuerst nur gering, vielleicht<br />
ein satteres Grün oder mehr Dornen als üblich. Doch<br />
je weiter man vorstößt, desto bizarrer und offensichtlicher<br />
werden die Mutationen: Ledrige Knospen sprießen an Farnen,<br />
Moose bilden gleichmäßige hexagonale Formen aus, fleischfressende<br />
Pflanzen pressen ihre Verdauungskelche in den<br />
Erdboden. Es ist ein wuchernder Gürtel, der sich längs des<br />
Äquators erstreckt und Tag um Tag Land gewinnt. Er breitet<br />
sich aus, treibt die Völker vor sich her. Jetzt wo Africa erwacht<br />
ist und zu leben beginnt, sind da seine Tage gezählt?<br />
V Ö L K E R WA N D E R U N G<br />
Africa war nicht immer ein freies Land und schon gar nicht dominierte<br />
es Europa. Die überlieferte Geschichte des schwarzen<br />
Kontinents ist bruchstückhaft, nahezu das gesamte voreshatologische<br />
Wissen ist in Vergessenheit geraten. Und doch wissen<br />
die Anubier von der verheerenden Seuche, <strong>mit</strong> der alles begann<br />
und durch die alles erklärt wird.<br />
HIVE, so der Name der Krankheit, nahm seinen Anfang an<br />
der Elfenbeinküste. In wenigen Wochen nur breitete es sich<br />
wie ein Buschfeuer aus, grassierte unter den Schwachen und<br />
Armen und verschonte auch die Reichen nicht. Ganze Sippen<br />
verließen ihre Dörfer Hals über Kopf, trieben auf Flößen den<br />
Niger hinunter oder wagten den beschwerlichen Weg durch<br />
die Sahara – nur weg vom HIVE. In all der Panik vergaß man<br />
nicht, wem man dies zu verdanken hatte: Dem weißen Mann,<br />
wieder einmal. Seine Schiffe an der Elfenbeinküste waren es,<br />
von denen die kranken Matrosen kamen, und er war es, der<br />
als erster ein Serum entwickelt hatte. Alles passte zusammen.<br />
Der Löwe sollte erneut geschwächt und an die Kette gelegt<br />
werden.<br />
Chaos und Anarchie brachen sich Bahn, das halbe Volk<br />
schien plötzlich <strong>mit</strong> Kalaschnikows bewaffnet zu sein. Man<br />
kämpfte sich nach Norden durch, folgte Gerüchten, die besagten,<br />
dass an der Küste bereits erste Schiffe <strong>mit</strong> Hunderttausenden<br />
Dosen des Serums auf die Militärs und Bonzen warteten.<br />
Keine Grenze vermochte die panischen Massen aufzuhalten;<br />
keine Armee konnte sich ihnen in den Weg stellen und bestehen.<br />
Afrikaner stand gegen Afrikaner – und der weiße Mann<br />
hatte es wieder einmal geschafft, den mächtigen Löwen Afrika<br />
gegen sich selbst aufzubringen.<br />
Die Verteidigung Marokkos, Algeriens, Libyens und Ägyptens<br />
war dem Ansturm nicht gewachsen und wich zur Seite,<br />
bevor sie unter den heranbrandenden Wogen aus Geländewagen,<br />
rostfleckigen Transportern, russischen Maschinengewehren<br />
und einem Heer an Besitzlosen zerschmettert worden<br />
wäre. Flüchtlingslager sprenkelten die Küstenregionen, Länder<br />
zerbrachen. Es herrschte Krieg auf den Straßen. Aber da war<br />
kein Serum. Fehlinformationen. Massenhysterie. All die Hoffnung<br />
verwehte, um sich schließlich wie <strong>mit</strong> einem Brennglas<br />
gebündelt auf Europa zu richten.<br />
Eine groteske Flotte aus verrottenden Seelenverkäufern,<br />
Flößen, losgerissenen Ponton-Brücken und überladenen<br />
Kuttern wagte den Versuch, das Mittelmeer zu überqueren<br />
und in Europa ihre Heilung einzufordern. Wer nicht auf dem<br />
Weg dorthin schon ein Opfer der Fluten wurde, stieß auf eine<br />
stählerne Mauer der Angst und Abneigung: Hunderte Kreuzer,<br />
Fregatten, Torpedoboote und Zerstörer errichteten einen<br />
Sperrgürtel entlang der afrikanischen Küste und verweigertem<br />
jedem die Passage. Leichen trieben auf den Fluten, und Europa<br />
versündigte sich erneut.<br />
Der Höhepunkt des Konfliktes schien erreicht, als die UEO<br />
(United European Organization) Stützpunkte in befreundeten<br />
afrikanischen Ländern errichtete und mechanische, semi-intelligente<br />
Unterstützungseinheiten in den Kampf entließ. Was als<br />
Deeskalation geplant war, entwickelte sich zu einem Fiasko:<br />
Die autonomen Maschinen entzogen sich der Kontrolle ihrer<br />
Ingenieure und säten Zerstörung unter den verängstigten<br />
Flüchtlingen. Doch die UEO preschte weiter vor, weitete ihren<br />
Einfluss durch ein Netz an Festungen aus, sicherte Ölquellen<br />
und Minen.<br />
D E R L Ö W E E R WA C H T<br />
Vielen Afrikanern schien es, als ob der imperialistische Norden<br />
wieder einmal das Land unter sich aufteilte. Man sprach<br />
von einem neuen Kolonialismus. Es war genug. Man hob zum<br />
Befreiungsschlag an, sammelte sich zu kleinen, schlagkräftigen<br />
Einheiten. Kreuzer wurden des Nachts von Kommandos<br />
geentert und in Brand gesetzt, man schleuderte Kleidung<br />
von Ebola-Kranken über Festungsmauern, Guerilla-Truppen<br />
lauerten UEO-Patrouillen auf. Überall im Lande flackerten<br />
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