Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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gion geflüchtet. Was blieb, waren die unentflammbaren Reste<br />
einer Hochkultur – jetzt eingebacken in spröde Rußkokons.<br />
Weiter im Osten erblickt man wieder Nadelbäume, kränklich<br />
zwar, aber jedes Leben ist nach dieser Hölle eine Offenbarung,<br />
und sei es nur eine Kakerlake am Stiefelabsatz.<br />
Wer es bis hierher geschafft hat, musste sich entlang erstarrter<br />
Lavaströme durch knietiefe Ascheverwehungen kämpfen,<br />
schroffe Klippen erklimmen und explosiven Geysiren ausweichen.<br />
Erdbeben rissen einen mehr als einmal von den Füßen;<br />
das Donnern von Lawinen und aufbrechender Spalten und das<br />
Krachen von Stein auf Stein hallen noch immer nach. Pure Urgewalt.<br />
Manche Menschen können diese Erfahrung nie ganz<br />
bewältigen. Dennoch können sie sich glücklich schätzen. Denn<br />
die meisten enden <strong>mit</strong> verdrehten Gliedern und zerschlagen in<br />
einer Felsspalte oder werden <strong>mit</strong> aufgedunsenem Gesicht und<br />
geplatzter Lunge Brutstätte von Schaben und Asseln.<br />
Wir befinden uns an der östlichen Grenze des Sichelschlages,<br />
eines tektonischen Phänomens, das seinen Ausgang hoch<br />
im eisigen Norden Borcas hat, dann in einem geschwungenen,<br />
südwärts gerichteten Bogen die Alpen durchschneidet, um<br />
unbemerkt auf dem Grund des brackigen Tümpels namens<br />
Mittelmeer bis an die Küste Africas vorzustoßen. Die Erde<br />
ist entlang dieser Linie aufgebrochen, gigantische Landschollen<br />
von der Größe ganzer Städte türmen sich zu einer viele<br />
Hundert Kilometer langen, ausgefransten Narbe auf. Flüsse<br />
wurden ihres natürlichen Laufes beraubt, stürzen über die<br />
Bruchkanten in die Tiefe, um an anderer Stelle als Geysir wieder<br />
an die Oberfläche zu treten. Die Erdhitze ist dort nahe der<br />
Oberfläche und entlädt sich nur allzu oft in Vulkanen.<br />
Borca wurde durch den Sichelschlag in zwei Hälften zerschnitten<br />
– wie Zwillinge haben beide Teile den gleichen<br />
Ursprung: Die Großkultur des Urvolks, welche das Land<br />
selbst über ihren Tod hinweg prägte. Und doch unterscheiden<br />
sich die Menschen westlich des Sichelschlags von denen des<br />
Ostens, denn die Zwillinge mussten ihre Jugend getrennt voneinander<br />
verbringen.<br />
B R Ü D E R U N D S C H W E S T E R N<br />
Kalt und unwirtlich, die großen Meere des Nordens zugefroren,<br />
Schneefall fast das ganze Jahr hindurch, so gibt sich Borca<br />
westlich des Sichelschlags. Die Natur versagte dort im Kampf<br />
um die Rückeroberung dessen, was das Urvolk ihr einst entrissen<br />
hatte: Die Stahl- und Betonskelette in den Ruinenfeldern<br />
sind unbezwingbar für das trockene Gestrüpp, das Wollgras<br />
und die Matten aus Moosen und Flechten, die draußen in den<br />
Kältesteppen die Einöde <strong>mit</strong> ihren Tupfern aus Gelb und<br />
Grün durchbrechen. Der Wind reißt sie vom Asphalt, weht sie<br />
hinaus, als wachten die Ahnen über die traurigen Reste ihrer<br />
Behausungen. <strong>Das</strong> einzige, was die grauen Monolithen ihrer<br />
Tristesse beraubt, ist der allgegenwärtige Staub, eine dunkelrote<br />
Melange aus Dreck, Asche und Rost. Wie ein Leichentuch<br />
legt er sich in den wenigen schneefreien Monaten über das<br />
Land, droht die von den Bauern ausgebrachten Sprösslinge<br />
zu ersticken. Stürme peitschen ihn zu einer flirrenden roten<br />
Wolke auf, die die Sonne verdunkelt und sich einen Weg durch<br />
jeden Spalt hindurch sucht. Augen verkrusten und entzünden,<br />
Lungen kollabieren, verstecken sie sich nicht hinter Brillen und<br />
groben Tüchern. Mutter Erde hat für jeden Borcer ein hartes<br />
Stück Leben parat.<br />
Die Menschen passten sich an, nicht weil sie wollten,<br />
sondern weil sie keine Wahl hatten. Gehüllt in viele Lagen<br />
schwerer Tücher und Felle, dass selbst ein Schmächtling einem<br />
Koloss gleicht, und gewappnet <strong>mit</strong> Atemmasken, gehen sie ihr<br />
Tageswerk an. Die Ruinen, ihr Erbe, sind das Zentrum ihres<br />
Denkens und Handelns. Sie sind ihnen Trost und Trauer, Auskommen<br />
und Tod. Die westlichen Borcer lösten sich niemals<br />
von ihren Urahnen, versuchten ein fremdes und unverstandenes<br />
Leben auf deren Gräbern fortzuführen, das vor langer<br />
Zeit <strong>mit</strong> dem Eshaton geendet hatte. <strong>Das</strong> technische Wissen<br />
war <strong>mit</strong> dem Urvolk gestorben, die ach so wertvollen Artefakte<br />
ohne Strom nichts weiter als wertloser Tand. Und doch ist<br />
der tägliche Kampf um Schrott und Macht noch immer das<br />
alles bestimmende Thema in Borca: Städte senden Schrotter-<br />
Schwadrone aus um die Ruinen zu durchkämmen; skrupellose<br />
Kriegsherren überfallen <strong>mit</strong> ihren Rotten gegnerische Posten<br />
um Waffen und Technik zu rauben. Man misst den Einfluss<br />
eines Kultes an seinen <strong>mit</strong> Artefakt-Schrott gefüllten Hallen.<br />
Doch kaum jemand praktiziert den Wiederaufbau. Solange die<br />
Müllhalde des Urvolks genug liefert um das eigene Leben zu<br />
bestreiten, kriechen sie wie Ratten auf ihr herum und zehren<br />
von ihr.<br />
Obwohl sie die gleiche Vergangenheit und Geschichte teilen,<br />
verließen die östlich des Sichelschlags ansässigen Völker<br />
den Weg der Selbstzerstörung, legten alte Traditionen und eine<br />
überholte Kultur ab und wagten den Neuanfang in den weitläufigen<br />
Nadelwäldern des östlichen Borcas. Wo ihre westlichen<br />
Brüder nur auf Staub, Beton und Insekten stießen, verfügten<br />
sie über Holz und große Moschusochsen-Herden. Man besann<br />
sich auf die Ursprünge der menschlichen Rasse und fand zu<br />
einer einfacheren Lebensart zurück. Während das Leben im<br />
Westen turbulent ist, auf das Hier und Jetzt fokussiert und<br />
einem beständigen Überlebenskampf gleicht, wurde man im<br />
Osten Teil eines gemächlichen Zyklus. Man folgte den Spuren<br />
der Herden und entwickelte sich zu einem nomadischen Volk<br />
auf ewiger Wanderschaft. Die Städte des Urvolks gerieten in<br />
Vergessenheit und wurden schließlich von den Wäldern und<br />
Steppengräsern vereinnahmt.<br />
A U F S T I E G U N D F A L L<br />
<strong>Das</strong> Verlangen nach Stabilität und einer ordnenden Hand ist<br />
in den borcischen Völkern tief verwurzelt – es muss eine Hinterlassenschaft<br />
ihrer Vorfahren sein. Die Jahre des Chaos nach<br />
dem Eshaton waren den Menschen schließlich zu lang geworden.<br />
Man sehnte sich nach einer Lösung, hätte alles dafür geopfert.<br />
Die Stadt Exalt im west-borcischen Kernland verhieß<br />
ein neues goldenes Zeitalter. Keiner der Kriegstreiber kontrollierte<br />
sie, kein dubioses Clan-Konglomerat stand ihr vor; die<br />
Sicherheit garantierten die Söldnerheere einflussreicher Handelsfürsten.<br />
Ein strahlendes Licht der Freiheit in einer dunklen<br />
Zeit in einem dunklen Landstrich, so schien es. Es sollte ein<br />
Schmelztiegel der Völker werden – doch das Amalgam war<br />
unrein, durchzogen von alten Feindschaften und Unbill. Risse<br />
durchzogen das Fundament des Zusammenlebens. Straßenkämpfe<br />
rivalisierender Clans, Plünderungen und zunehmend<br />
unsichere Handelswege zerstörten letztlich die Hoffnung auf<br />
dauerhaften Frieden. Die Stadt zerbrach an ihrer eigenen Last.<br />
Ganze Viertel schlossen sich zusammen und wanderten aus,<br />
suchten sich im menschenleeren Land eine Heimstatt. Kleine<br />
Ortschaften und Städte sprossen an vielen Stellen aus dem<br />
Boden, klammerten sich noch immer begehrlich an die Ruinen<br />
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