Das vollständige Grundregelwerk mit satten 380 Seiten! - Degenesis
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W I E D E R Z U H A U S E<br />
Nach der Rückkehr aus dem kalten Norden bleibt den africanischen<br />
Schrottern nicht viel Zeit zum Ausspannen: Sie müssen<br />
die Schiffe entladen, die Fahrzeuge warten und den Schrott<br />
klassifizieren und sortieren. Wer sich besonders hervortun<br />
möchte – um eine schriftliche Belobigung zu bekommen – repariert,<br />
was ihm möglich ist oder baut Komponenten aus und<br />
testet sie auf Funktionsfähigkeit. Elektronische Gerätschaften<br />
sind davon in der Regel ausgeschlossen, da das Wissen um sie<br />
den wenigsten zugänglich ist, doch gerade in der Mechanik<br />
erweisen sich die africanischen Schrotter als äußerst geschickt.<br />
Verbrennungsmotoren oder Uhrwerke sollten für einen Veteranen<br />
kein Problem darstellen. Erst wenn dies alles geregelt<br />
wurde und das Schiff an seinen Besitzer zurückgegeben wurde,<br />
endet die Expedition offiziell und die Schrotter werden<br />
entlassen. Sie sind jetzt arbeitslos – bis sie wieder in Tripol bei<br />
einem Neolibyer vorstellig werden.<br />
R U N E N<br />
Eltern leben in ihren Kindern fort, Kriegsführer durch das was<br />
sie bewirken, Helden in Legenden. Und europäische Schrotter?<br />
Sie verschwinden einfach. Niemand wird sich an Gram<br />
erinnern, der in den Straßen südlich Technikcentrums zu Lebzeiten<br />
das Tunnelsystem durchwandert hat oder an Toktok, die<br />
die Berghöhlen östlich der Staublunge nach Überbleibseln der<br />
Flüchtlinge durchsuchte.<br />
Trotz ihrer ablehnenden Haltung der Gesellschaft gegenüber<br />
ist dieser Gedanke für viele Schrotter erschreckend. Und<br />
so haben sie eine eigene Zeichensprache entwickelt, die der<br />
kurz hingespritzten Duftmarke eines Hundes gleicht und zudem<br />
auf Gefahren hinweisen kann: Die Schrotterrunen. Meist<br />
sind es selbst ersonnene, einfache Linienbilder, die sich <strong>mit</strong> einem<br />
Messer leicht in eine Wand kratzen lassen. Viele Schrotter<br />
lassen sich dieses Zeichen als Ausdruck der eigenen Individualität<br />
auf die Stirn oder auf den Handrücken tätowieren. Haben<br />
sie eine Ruine abgesucht, markieren sie diese <strong>mit</strong> ihrer Rune:<br />
Kilroy war hier! Andere Zeichen dienen als Wegweiser (Pfeile<br />
und Dreiecke), Warnhinweise (gezackte Linie) oder weisen auf<br />
Wasserstellen hin (drei waagerechte Linien). Die Bedeutung<br />
der Runen ist von Region zu Region verschieden, ein allgemein<br />
gültiges Alphabet gibt es nicht.<br />
Africanische Schrotter kennen diese Art der Verständigung<br />
nicht. Sie existieren in einer lebendigen Gemeinschaft, die das<br />
gesprochene Wort bevorzugt.<br />
I M A LT E R<br />
Die wenigsten europäischen Schrotter setzen sich zur Ruhe.<br />
Bis ins hohe Alter durchkämmen sie die Ruinen nach dem<br />
einen Fund, dessen Erlös ihren Lebensabend zu einem einzigen<br />
rauschenden Fest machen soll. Manchmal ist es wie eine<br />
Sucht: Nur noch ein Artefakt... Die meisten dieser Besessenen<br />
sterben vor Entkräftung im Ödland. Sie kommen einfach irgendwann<br />
nicht mehr in die Städte.<br />
Wer den Absprung schafft, ist in den Schrotterhallen, die<br />
man über Jahre selber beliefert hat, unter Seinesgleichen gut<br />
aufgehoben. Manchmal beschäftigen die Chronisten einen<br />
Veteranen und lassen ihn seine Erfahrungen an niedrigrangige<br />
Ordens<strong>mit</strong>glieder weitergeben. Eine andere soziale Absicherung<br />
gibt es nicht. Der Generationenvertrag greift nicht, da<br />
Schrotter zumeist kinderlos sind. Einige wenige haben das<br />
Glück, dass befreundete Schrotter für den Unterhalt aufkommen,<br />
doch das ist selten unter diesen Außenseitern.<br />
Bei den Africanern ist dies anders: Die Sippe kümmert sich<br />
um ihre Alten, bringt ihnen Respekt entgegen. Gespannt beugen<br />
sich die Kinder vor um besser hören zu können, wenn die<br />
knorrigen Schrotter von ihren Abenteuern und den Kämpfen<br />
gegen borcische Barbaren erzählen. Schließlich sterben sie in<br />
Würde.<br />
G E H E I M E L A G E R<br />
Wie Packesel beladen schleppen sich die europäischen Schrotter<br />
durch das Land. Die einen binden sich die Funde an der<br />
Kleidung fest – Anfänger, die <strong>mit</strong> dem Gerassel Gesetzlose<br />
anlocken. Die Erfahrenen häufen ihre Artefakte auf ein Tragegeschirr<br />
aus zusammengeschweißten Rohren, andere zerren<br />
Schlitten oder einrädrige Wagen hinter sich her.<br />
Doch oft geraten sie in eine Situation, in der sie die Kraft<br />
verlässt. Die Last ist zu groß. Dann versuchen sie, die Früchte<br />
ihrer Suche an einem unscheinbaren und hoffentlich sicheren<br />
Ort zu verbergen: In der uralten Kanalisation, in den Hohlräumen<br />
unter herabgestürzten Betonplatten oder vergraben in<br />
einer Staubdüne. Der Abschied fällt ihnen nicht leicht, wenn<br />
sie sich schließlich <strong>mit</strong> dem Rest der Relikte auf den Weg in die<br />
nächste Stadt machen. Die meisten kehren schnell zurück, sind<br />
erleichtert, wenn ihr Versteck unangetastet ist. Doch manche<br />
finden nicht zurück, werden abgelenkt, verschleppt oder getötet.<br />
Ihre Lager sind der Stoff, aus dem die Legenden sind. Da<br />
wäre Frahn, der von seinem großen Fund prahlte, sich plötzlich<br />
krampfhaft an die Brust packte und tot vom Barhocker<br />
fiel. Oder der alte Tiber, der immer, wenn er knapp bei Kasse<br />
war, ein wertvolles Kleinod aus seinem „Tresor“ holte. Ein<br />
solches Lager zu finden könnte das Leben um einiges leichter<br />
machen. Und so halten die Schrotter die Ohren auf.<br />
W U C H E R O D E R<br />
S C H N Ä P P C H E N ?<br />
Ist dieser rostige Kasten wertvoll oder war er die Arbeit<br />
nicht wert, ihn <strong>mit</strong>zuschleppen? Die wenigsten europäischen<br />
Schrotter können dies <strong>mit</strong> Sicherheit einschätzen und sind<br />
zudem abhängig von ihren Hauptabnehmern, den Chronisten.<br />
Über den Wert eines Relikts <strong>mit</strong> einem Mitglied dieses<br />
Technikkults zu diskutieren, ist ebenso sinnvoll, als wolle man<br />
einem Voivoden klarmachen, dass alle Menschen gleich seien.<br />
Nur dass die Reaktion der Chronisten weit angenehmer ausfällt:<br />
Sie verlieren das Interesse.<br />
Obwohl es den Schrottern schwer fällt, müssen sie ihnen<br />
vertrauen. Tatsächlich machen die Chronisten das Bewerten eines<br />
Artefakts zu einer Wissenschaft: Sie untersuchen es von allen<br />
<strong>Seiten</strong>, stöpseln manchmal Diagnosegeräte an oder fahren<br />
<strong>mit</strong> diesem knackenden Kasten über es hinweg. Die Artefaktbeschau<br />
kann nur wenige Augenblicke oder auch Minuten dauern<br />
– über den Preis macht dies allerdings keine Aussage. Aber<br />
sie akzeptieren das Angebot, manchmal verärgert, manchmal<br />
euphorisch. So oder so werden sie wiederkommen.