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Forschungsplan - Deutsches Archäologisches Institut

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zen. Einerseits ist die Differenzierung nach sozialen Gruppen und Situationen<br />

notwendige Folge. Dies betrifft die vergleichsweise eingeführte Kategorie<br />

der vertikalen, hierarchischen Differenzierung (inequality) wie auch den<br />

weithin vernachlässigten Effekt nicht-hierarchischer Vielfalt nach Geschlecht,<br />

Alter, Ethnos usw. (diversity). Erst damit tritt die Verschiedenheit<br />

und Spannweite des historisch gelebten Lebens und seiner Wirklichkeit in<br />

den Blick.<br />

Die Kategorie der Wirklichkeit des Lebens hat jedoch auch ein entscheidend<br />

synthetisches Potential. Das gilt für die Zusammenführung der Quellengruppen.<br />

Philologie, Archäologie und naturwissenschaftliche Spezialisierungen<br />

sind zwar Sparten wissenschaftlicher Bearbeitungskompetenz (d.h.<br />

ihrer jeweiligen Begrenztheit), nicht jedoch sinnvoll trennbare Facetten von<br />

Lebenswirklichkeit. Deren Rekonstruktion muss daher immer darauf zielen,<br />

Informationen aus allen Bereichen zu verbinden. Über den Rahmen der Altertumswissenschaft<br />

hinaus bildet der Fokus auf rekonstruierte Lebenswirklichkeit<br />

hin auch die Brücke zum Dialog mit sozialwissenschaftlichen und<br />

anthropologischen Disziplinen.<br />

Das Arbeitsfeld, das sich hier auftut, ist immens. Es können nur Beispiele<br />

genannt werden. Erstrangig ist an die physische Erfahrung von Gesundheit<br />

und Krankheit, Hunger und Sättigung, der Exponiertheit und des Schutzes,<br />

von Arbeit, Muße und Gewalt zu denken. Diese Dimension menschlicher Lebenswirklichkeit<br />

beleuchten gleichermaßen humanbiologische und paläomedizinische<br />

Studien, die Erforschung der Baulichkeiten, in denen sich das<br />

Leben abspielte oder körpernaher Artefakte (Kleidung, Kosmetik).<br />

Das weite Gebiet der Erfahrung und des Handelns im sozialen Raum betrifft<br />

das Erlebnis von Fremdbestimmtheit und die Möglichkeit zu dominantem<br />

Auftreten; Partizipation an kulturellen Situationen und Exklusion; die Einbindung<br />

in soziale Nahverhältnisse etwa der Familie und Siedlungsgemeinschaft<br />

wie die Isolation; Fremdheit, kulturelle Assimilation oder<br />

Selbstbehauptung. Licht auf solche opponierten Möglichkeiten werfen die<br />

Verteilungsmuster von Artefakten, die Implementierung von Zugangsbeschränkungen<br />

in architektonisch gestalteten Räumen, der Handlungsspielraum<br />

im Umgang mit Gebäuden oder der esoterische oder populäre<br />

Charakter medialer Praktiken.<br />

Von zentraler Bedeutung ist schließlich die soziale Verteilung von Wissen.<br />

Technologisches Wissen, architektonische Kompetenz, aber auch organisatorisches<br />

Wissen wie das Verfügen über Schriftlichkeit und Instrumente der<br />

Verwaltung (z.B. Siegel) lassen sich im archäologischen Quellenbestand<br />

verfolgen. Ein spannendes Gebiet der Forschung ist auch die Untersuchung<br />

ritueller Kompetenz, wie sie in der ganzen ägyptischen Gesellschaft in Form<br />

magischer Praktiken und populärer Kultplätze nachweisen lässt und den abgestuften<br />

Zugang aller Bevölkerungskreise zu imaginären Konzepten der<br />

Kultur belegt.<br />

In der Rekonstruktion so verstandener Lebenswirklichkeiten sieht sich die<br />

archäologische Forschung in einer entscheidenden Position. Denn anders als<br />

punktuell auftretende Schriftzeugnisse bietet gerade der archäologische Befund<br />

und das breite Spektrum der Sachkultur kohärente Serien, die chronologische,<br />

regionale, soziale und funktionale Differenzierungen in ihrer<br />

ganzen Bandbreite abbilden und Information zu Lebenswelten, kulturellen<br />

<strong>Forschungsplan</strong><br />

Seite 75

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